Das besetzte ukrainische Atomkraftwerk Saporischja wurde in den letzten Tagen mehrmals angegriffen und beschädigt – unter anderem durch russische Drohnen, heisst es von ukrainischer Seite. Die russische Kraftwerksleitung wiederum macht die Ukraine für die Explosion der Drohnen verantwortlich.
Der Chef der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA, Rafael Grossi, ist besorgt. Das Risiko eines Atomunfalls habe sich deutlich erhöht. Dass ein Risiko besteht, bestätigt auch Denis Trubetskoy. Ein Problem sieht er zudem in den Angriffen auf die Stromversorgung, gerade weil der Sommer naht.
SRF News: Ist die Sorge des Chefs der Internationalen Atomenergiebehörde berechtigt? Ist das Risiko eines Atomunfalls wirklich so gross im Moment?
Denis Trubetskoy: Russland startet vom AKW Saporischja Artillerie. Und wenn Russland so ein AKW auf diese Art und Weise militärisch nutzt, besteht natürlich ein Risiko. Dennoch glaube ich nicht, dass zum Beispiel Drohneneinschläge oder Einschläge von Artilleriegranaten da für einen grösseren Unfall sorgen können. Dazu ist das Atomkraftwerk einfach zu sicher gebaut worden.
Die Energieversorgung ist im Moment ein Ziel russischer Angriffe. Wie kritisch ist die Lage?
Diese Welle der russischen Angriffe auf die ukrainische Energieinfrastruktur kam nicht im Winter, sondern sie begann so um den 20. März. Diese Angriffe vor allem auf Wärme- und Wasserkraftwerke kommen so gut wie jede Nacht vor. Aber die vergangene Nacht war grösser angelegt. Da gab es einen grösseren Angriff mit ungefähr 40 Raketen und Marschflugkörpern und noch 40 Drohnen. Ganz kritisch ist es in Charkiw. Da wird die Energieinfrastruktur nachhaltig quasi jeden Tag zerstört.
Man kann leider davon ausgehen, dass der kommende Winter schwieriger sein wird.
Wir können relativ sicher davon ausgehen, dass der Winter für Charkiw sehr hart sein wird. Auch ungefähr 30 Kilometer südlich von Kiew wurde gestern ein Wärmekraftwerk vollständig zerstört. Bei jetzigen Temperaturen um 20 Grad macht das noch nicht den grossen Unterschied. Aber im Sommer wird es spürbar sein, aufgrund der verstärkten Energiebenutzung durch Klimaanlagen oder Kühlung.
Wie gehen die Menschen mit dieser Situation um?
In Charkiw haben zwischenzeitlich hunderttausende Menschen keinen Strom. Aber insgesamt haben die Menschen mehrere Stunden pro Tag Strom. Die Angriffe fallen sehr gezielt aus. In Kiew spürt man die Stromausfälle nicht. Im Sommer wird es sicher Stromausfälle geben. Die Bürgerinnen und Bürger bereiten sich auch schon auf den Winter vor. Denn bis zum Winter kann nicht die ganze Stromgeneration repariert werden. Und man kann leider davon ausgehen, dass der kommende Winter höchstwahrscheinlich schwieriger sein wird als der Winter 2022/2023, als Russland die erste grosse Angriffswelle auf die Energieinfrastruktur gestartet hat.
Das Gespräch führte Romana Kayser.