In Genf finden derzeit Gespräche über die Wiedervereinigung Zyperns statt. Der griechische und der türkische Landesteil sind seit 1974 getrennt. Die Verhandlungen zwischen den beiden Seiten kommen gut voran, erklärte UN-Vermittler Espen Barth Eide.
Heute Donnerstag nehmen zudem die Aussenminister der Garantiemächte Türkei, Griechenland und Grossbritannien an den Gesprächen teil. Doch schon jetzt ist klar: Ohne die Türkei geht gar nichts. SRF-Korrespondent Fredy Gsteiger zeigt auf, was für das Land auf dem Spiel steht – und wo es profitieren könnte.
SRF News: Welche Rolle spielt die Türkei bei der Wiedervereinigung Zyperns?
Fredy Gsteiger: Eine absolut zentrale Rolle. Ohne die Türkei wird es eine Wiedervereinigung Zyperns nicht geben. Sie hat die Macht, den Prozess zu blockieren.
Hat sie denn ein Interesse an einer Wiedervereinigung? Zypern wäre danach ja komplett Teil der EU – nicht nur der griechische Teil.
Zumindest zeigt die Teilnahme der Türkei an den Gesprächen in Genf, dass sie nicht grundsätzlich gegen eine Wiedervereinigung ist. Aber sie sendet gegensätzliche Signale aus. Einerseits zeigt die Türkei wenig Bereitschaft, die mehr als 30'000 Soldaten abzuziehen, die sie zum Schutz der Türkisch-Zyprer im Norden der Insel stationiert hat. Das wäre aber sicherlich eine Bedingung für eine Wiedervereinigung.
Zudem ist das Verhältnis zur EU schlecht wegen der innenpolitischen Entwicklungen, also dem Abbau der Demokratie in der Türkei. Die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei sind – wenn auch nicht offiziell – derzeit auf Eis gelegt. Präsident Erdogan hat deshalb also kaum Interesse daran, irgendeinem EU-Staat oder der EU insgesamt einen Gefallen zu machen.
Die Besetzung des nördlichen Teils der Insel verschlingt Milliarden, die sich die Türkei kaum leisten kann.
Auf der anderen Seite gibt es für die Türkei aber auch vieles, das für eine Wiedervereinigung spricht: Die jahrzehntelange Besetzung des nördlichen Teils der Insel verschlingt Milliarden, die sich die Türkei angesichst ihrer angespannten wirtschaftlichen Lage kaum leisten kann. Der Norden ist isoliert, politisch ausser von der Türkei nicht anerkannt, und wirtschaftlich massiv von Ankara abhängig.
Zudem gibt es einen gewichtigen Punkt, der für die Türkei interessant ist: Eine Wiedervereinigung könnte ihren Einfluss auf politische Entscheidungen in der EU deutlich vergrössern.
Wie das? Die ganze Insel wäre danach ja Teil der EU.
Die Türkei hat grossen Einfluss auf die türkischen Zyprer. Man hat enge wirtschaftliche Verbindungen, spricht die gleiche Sprache und teilt die Religion. Eine Wiedervereinigung Zyperns ist nur vorstellbar, wenn die türkische Minderheit starke Rechte hat, vielleicht gar eine Art Vetorecht gegenüber der griechischen Mehrheit.
Gerade der türkische Teil der Insel würde wirtschaftlich von einer Wiedervereinigung in hohem Masse profitieren.
Man hat bei den Freihandelsverhandlungen zwischen der EU und Kanada zum Ceta-Abkommen gesehen: Eine kleine Region wie Wallonien kann theoretisch das Ganze zu Fall bringen. Es ist also durchaus vorstellbar, dass die Türkei über die türkischen Zyprer viel direkter Einfluss auf politische Entscheidungen innerhalb der EU nehmen kann, als es bisher der Fall war.
Können sich die Türkisch-Zyprer denn eine Wiedervereinigung vorstellen, wenn sie dafür auf den Schutz des türkischen Militärs verzichten müssen?
Tatsächlich gibt es Bedenken, dass sie unter die Räder kommen könnten, wenn sie die Rückenstärkung durch das Militär verlieren. Deshalb wird eine Wiedervereinigung nur zustande kommen, wenn starke Minderheitenrechte Teil der Lösung sind.
Man muss aber sehen: Gerade der türkische Teil der Insel würde wirtschaftlich von einer Wiedervereinigung in hohem Masse profitieren. Zum einen wäre man plötzlich Teil des EU-Binnenmarktes. Zum andern könnte der Tourismus deutlich zulegen: Zum Beispiel wären dann Direktflüge für Touristen aus London, Zürich oder Berlin möglich, die bisher immer über Istanbul anreisen mussten.
Als 2004 in beiden Teilen der Insel bereits über einen Wiedervereinigungs-Plan – den sogenannten Annan-Plan – abgestimmt wurde, stimmte die türkische Seite mit klarer Mehrheit dafür. Die griechische Seite schickte ihn damals aber bachab.