Wikileaks-Gründer Julian Assange ist eine widersprüchliche Figur. Für die einen ein Held, für die anderen ein Halunke. Doch eines zeigt der Fall Assange deutlich: wie schmal der Grat zwischen Journalismus und Aktivismus ist.
Assange hat viele Fehler gemacht. Er ist kein klassischer Journalist. Er arbeitete aber nicht nur mit journalistischen Methoden. Indem er massenhaft Dokumente unredigiert publiziert hat, brachte er Menschen in Lebensgefahr. Denn in Wikileaks-Dossiers tauchten unzählige Namen von Leuten auf, die aufgrund der Veröffentlichung den Zorn von Regierungen, Milizen, oder Banden fürchten müssen – und sogar den Tod.
Todessrafe ist nicht ausgeschlossen
Assange spannte mit Russland zusammen und griff in den US-Wahlkampf ein – zulasten von Hillary Clinton und zugunsten von Donald Trump. Er stiftete mutmasslich Leute an, Dokumente zu stehlen, Computer zu knacken. Deshalb verlangen die USA von Grossbritannien seine Auslieferung. Sie wollen ihn vor Gericht bringen.
Julian Assange drohen bis zu fünf Jahre Haft. Ob die USA Assange, wenn sie ihn einmal in Gewahrsam haben, nicht auch noch als Spion anklagen, ist ungewiss, aber nicht unwahrscheinlich. Dann drohte dem Australier gar die Todesstrafe.
Und dann steht da auch noch, völlig unabhängig von seinen Wikileaks-Aktivitäten, der Vorwurf schwerer Sexualdelikte im Raum, die er in Schweden begangen haben soll. Dafür, dass er sich mit seinem 2487-tägigen Asyl in der ecuadorianischen Botschaft in London diesem Verfahren entzog, gibt es keine moralische Rechtfertigung.
Zwischen Journalismus und Aktivismus
Doch Julian Assange hat eben auch sehr vieles richtig gemacht: Er hat US-Kriegsverbrechen im Irak an die Öffentlichkeit gebracht, die das Pentagon unter dem Deckel halten wollte. Er hat seine Quellen geschützt, was jeder seriöse Journalist tun muss. Er hat sich in verschlüsselten Chats mit Informanten ausgetauscht – wie es professionelle Recherchejournalisten eben tun.
Assange ist nicht nur Journalist. Er sieht sich als Enthüller, ja wohl gar als Missionar, und foutierte sich um Berufsregeln. Er war auch nicht unabhängig, sondern – besonders was Russland und Hillary Clinton betraf – Partei. Doch das sind auch viele professionelle Journalisten. Die Grenzlinie zwischen Journalismus und Aktivismus ist ohnehin dünn – wo verläuft sie in Boulevardmedien, wo in Blogs oder bei Tweets von Journalisten?
Bedrohte Pressefreiheit
Entsprechend kurzsichtig ist es, wenn nun Leitartikel, aber auch Politiker – nicht zuletzt US-Demokraten – Assanges Verhaftung mit Genugtuung quittieren. Viele aus Empörung, weil er zu Trumps Wahlsieg beigetragen hat.
Doch so sehr niemand etwas dagegen haben kann, dass sich Assange wegen Vergewaltigungsanklagen der schwedischen Justiz stellen muss, so sehr sollte man etwas dagegen haben, dass er in den USA vor Gericht gestellt wird. Zumal die vorgelegten Anschuldigungen dünn sind. Vor allem aber, weil eine Verurteilung von Julian Assange einen gefährlichen Präzedenzfall schüfe. Die vielerorts in der Welt ohnehin bedrohte Pressefreiheit geriete auch im Westen noch stärker unter Druck.