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«Zerstörerische Schädlinge» Für die Natur: Australien macht Jagd auf Wildpferde

Im australischen Hochland richten tausende verwilderte Pferde enormen Schäden an der Natur an. Jetzt werden die Tiere von Helikoptern aus abgeschossen. Eine notwendige Massnahme, sagen Experten.

Richard Swain bückt sich, greift einen Klumpen trockene Erde und lässt ihn in seiner Hand zu Staub zerfallen. «Es ist, wie wenn man einen Bagger durch die Wand eines Staudamms fahren würde, so zerstörerisch sind die Pferde.» Wo früher ein kristallklarer Bach floss, hätten die harten Hufe der Pferde zur Erosion des Bodens geführt. Erde wurde abgetragen, das Wasser ist verschlammt, der Lebensraum einheimischer Tierarten zerstört.

Mann steht auf grasbewachsener Erhebung neben kleinem Bach.
Legende: Von Sumpflandschaft zu Staub: Richard Swain hält ein Stück trockene Erde in der Hand. Die harten Hufe der Pferde haben verheerende Konsequenzen für die Bäche im Kosciuszko-Nationalpark. SRF / URS WÄLTERLIN

Swain, Aboriginal und Delegierter der Nichtregierungsorganisation Invasive Species Council, ist der Frontkämpfer im Krieg gegen einen der zerstörerischsten Schädlinge in der australischen Umwelt. Im Nationalpark Kosciuszko im Hochland der australischen Alpen leben bis zu 14'000 wilde Pferde. Die Brumbies, wie sie genannt werden, sind nicht Wildpferde, sondern verwilderte Tiere. Es handelt sich um Nachkommen von Nutztieren, die zu einer Zeit freigelassen worden waren, als das Auto das Pferd als Transportmittel ablöste.

Es sei «nicht ihre Schuld, dass sie hier sind, sondern die von uns Menschen», sagt Swain. Trotzdem wünscht er sich nur eines: «Dass sie weg sind. Und dass die Natur wieder so werden kann wie damals. Damals, bevor die Weissen auf den Kontinent kamen, den wir Australien nennen.»

Mit den Weissen kamen die Eindringlinge

Wo heute die Stadt Sydney liegt, stiegen 1788 nicht nur britische Sträflinge und ihre Bewacher von den Schiffen der «Ersten Flotte». Sie brachten Tiere mit, die in Australien nicht heimisch waren: Pferde, Kaninchen, Katzen, Füchse. Später kamen Kamele und Agakröten dazu. Die Eindringlinge vermehrten sich rasend schnell. Denn sie hatten kaum natürliche Feinde. Seither richten sie enorme Schäden an, an der Umwelt und in der Landwirtschaft.

Erosionsgebiet mit Wasser und Pflanzen im Grasland.
Legende: Die Erosion hat schwere Folgen für die fragile Natur im Nationalpark. SRF / Urs Wälterlin

Eine Fahrt durch das alpine Hochgebirge im Südosten von Australien ist eine Reise durch eine magische Landschaft. Mächtige Eukalyptusbaum-Wälder wechseln sich ab mit Moorlandschaften und Auen. Es dauert nicht lange, und eine erste Herde von Pferden steht mitten auf der Strasse. Hengste, Stuten, Fohlen. Die Tiere scheinen gesund zu sein und gut genährt. Nervös blicken sie in Richtung von Richard Swains Auto. Dann galoppieren sie davon, der aufgehenden Sonne entgegen.

Bei solchen Bildern fällt es schwer, Pferde als Zerstörer der Umwelt zu sehen. Doch genau das seien sie, sagen Fachleute. Denn in der australischen Natur gab es vor der Ankunft der Europäer keine Tiere mit harten Hufen. Alle einheimischen grösseren Säugetiere – allen voran Kängurus – haben weiche Füsse, die den Boden nicht schädigen. Pferde dagegen können gerade in Sumpfgebieten knietief einsinken. Die Löcher, die dabei entstehen, füllen sich mit Wasser.

Wenig Hoffnung für die ökologische Vielfalt in Australien

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Australien ist global führend, wenn es um das Aussterben von Tieren geht. Mit über 1700 als bedroht oder gefährdet eingestuften Arten weist das Land eine der höchsten Raten von Artenverlust auf. Seit der europäischen Besiedlung hat das Land allein 34 Säugetierarten verloren, etwa zehn Prozent seiner ursprünglichen Säugetierfauna.

Australien ist Heimat von über 500'000 oftmals einzigartigen einheimischen Tierarten. Diese sehen sich mit erheblichen Bedrohungen konfrontiert: Zerstörung von Lebensräumen durch Rodung von Urwäldern für die Fleischproduktion, invasive Arten und die Folgen der Klimaerhitzung. Schon heute ist Australien so stark von der Veränderung des Klimas betroffen wie kein anderes industrialisiertes Land.

Sofortige Massnahmen zum Schutz von Lebensräumen und dem Klima seien entscheidend, um diesen Trend zu stoppen und die einzigartige Biodiversität des Landes zu schützen, sagen Experten.

Die sozialdemokratische australische Regierung tut sich allerdings schwer, entsprechende Gesetze durchzusetzen. Umweltministerin Tanya Plibersek priorisiert generell den Abbau und Export von klimaschädigender Kohle und Gas, so wie es ihre konservativen Vorgänger getan hatten.

Richard Swain befürchtet, dass im Kosciuszko-Nationalpark zwei kritisch bedrohte Tierarten bald aussterben könnten, wenn die Zahl der Pferde nicht sofort von 14'000 auf etwa 4000 reduziert werde: eine einheimische Rattenart und eine Glattechse.

Don Driscoll, Ökologie-Professor an der Deakin Universität bei Melbourne, teilt diese Prognose. «Diese beiden Tierarten gibt es ausschliesslich in diesem alpinen Gebiet, während Pferde überall leben. Wenn es uns Menschen nicht gelingt, sie wenigstens in diesem kleinen Raum zu retten und glauben, die Pferde müssten auch hier noch leben, dann gibt es wenig Hoffnung für die Zukunft der ökologischen Vielfalt.»

Das fragile «Gerüst» des Bodens falle dann in sich zusammen, erklärt Swain. Trocknet die Erde aus, verdichte sie sich und könne hart werden wie Beton. Ein weiteres Problem sei das arttypische Verhalten von Pferden: Sie baden in Flüssen, Bächen und Wasserlöchern, was zur Verunreinigung der Landschaft mit Kot führe. «Das alles hat die Lebensräume für verschiedene Kleintiere zerstört», sagt Swain. Schon heute hält Australien einen traurigen Weltrekord, wenn es um die Zerstörung ökologischer Vielfalt geht.

Landschaft mit Fluss
Legende: Der Kosciuszko-Nationalpark im Südosten Australiens kämpft mit einer Überpopulation von Wildpferden. imago images/imageBROKER/ChrisxPutnam

Richard Swain wirkt besonnen, fast schüchtern. Er überlegt zweimal, bevor er spricht. Seit zehntausenden von Jahren hätten seine Vorfahren hier gelebt, so der Aboriginal, in Einklang mit der Natur. «Sie haben nur genommen, was sie brauchten. Sie waren die Beschützer ihrer Umwelt.» Swain tönt bitter, als er meint, die Zerstörung der Landschaft durch die Brumbies sei nur deshalb möglich, weil das weisse Australien «an einem Mythos festhalten» wolle.

«Der Mann vom Snowy River» heisst der Film, gedreht nach einem Gedicht des Schriftstellers Banjo Paterson. Jeder in Australien kennt ihn. Er erzählt die Geschichte eines Cowboys im australischen Hochland. Zu sehen sind Herden von verwilderten Pferden. Das hat sie in Australien zu Ikonen gemacht. Seither sind sie eine Attraktion für Touristen und Hobbyreiter.

Reitferien boomen

Im Nationalpark boomen Reitferien. Sie sind ein gutes Geschäft für Veranstalter wie Peter Cochran. Er wehrt sich dagegen, dass die Zahl der Tiere verkleinert werden soll und argumentiert mit der Tradition. Den offiziellen Zahlen der Nationalparkbehörde zum Tierbestand glaubt er nicht. «Ich traue der Wissenschaft grundsätzlich nicht», poltert er im Fernsehen. Auch die Medien kommen in seinem Urteil nicht besser weg. Seit Jahren kämpft der frühere konservative Politiker gegen Umweltschützer und Behörden.

Durchsetzen konnte er sich aber nicht. Denn seit jüngstem fliegen Helikopter über die Wiesen und Berge des Nationalparks. Von den Behörden angestellte Scharfschützen schiessen wilde Pferde aus der Luft ab. Ganze Herden fallen den Kugeln zum Opfer – die Körper der Tiere werden liegengelassen. Es wäre zu teuer, sie zu entsorgen. Es ist die zweite solche Kampagne in einem Jahrzehnt. Die erste war nach weltweiten Protesten von Tierschützern eingestellt worden.

Abschuss als humanste Methode

Richard Swain stimmt mit den Kritikern in einem überein: Das Töten von Tieren sei niemals schön, sagt er. Der Abschuss aus der Luft sei aber die humanste Methode, um die Zahl der Tiere zu verringern. Unnötige Quälerei werde vermieden, weil ganze Pferdefamilien auf einmal abgeschossen werden: «Man trennt also nicht die Fohlen von den Müttern», meint er.

Verfallenes Pferdeskelett auf einer Wiese.
Legende: Die Pferde werden von Helikoptern aus abgeschossen. Die Tierkörper bleiben liegen. SRF / Urs Wälterlin

Andere Methoden, etwa Hengste zu sterilisieren, seien wegen der hohen Zahl von Tieren nicht praktikabel und zu teuer. Die Pferde einzufangen und abzutransportieren, wie das Umweltschützer fordern, würde die scheuen, wilden Tiere in Panik versetzen. Die Erfahrung zeige auch, dass nur die wenigsten eingefangenen Pferde ein neues Zuhause finden bei Tierliebhabern, wie Aktivisten behaupten. Vielmehr landeten die «Brumbies» im Schlachthof und werden zu Hundefutter verarbeitet.

Mann mit Bart im Wald.
Legende: Wegen seiner Arbeit in seinem Dorf angefeindet und ausgegrenzt: Umweltschützer Richard Swain. SRF / Urs Wälterlin

Richard Swain erzählt, wie er wegen seiner Arbeit in seinem Dorf angefeindet wird, ausgegrenzt gar. Doch der Aboriginal ist überzeugt, dass es wichtig ist, Opfer zu bringen. Das Ziel sei, im Park wieder ein natürliches Gleichgewicht der Arten herzustellen, so wie früher eben. Denn damit erfülle er nicht zuletzt auch eine Pflicht gegenüber Generationen seiner indigenen Ahnen – und gegenüber seinen Kindern.

Echo der Zeit, 30.1.2025, 18 Uhr

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