Die Welthandelsorganisation (WTO) hat ihren jährlichen Bericht zum Zustand des Welthandels veröffentlicht. Als Folge des US-Zollhammers dürfte das gehandelte Warenvolumen weltweit um 0.2 Prozent schrumpfen, statt wie vorher erwartet um 2.7 Prozent wachsen, heisst es darin. Die Weltwirtschaft stehe am Scheideweg, sagt einer der Autoren – und müsse sich auf ihre Stärken besinnen.
SRF News: War es dieses Jahr schwieriger, den Bericht zu erstellen als in anderen Jahren?
Ralph Ossa: Auf jeden Fall. Prognostizieren ist immer eine schwierige Angelegenheit, aber es ist umso schwieriger, wenn sich die Szenarien so oft ändern, wie sie das jetzt tun.
Ein Rückgang des Welthandels um 0.2 Prozent klingt nicht so dramatisch – ist es das auch nicht?
Dazu muss man zwei Sachen wissen: Einerseits sind das fast drei Prozentpunkte weniger, als es ohne die Zölle der Fall gewesen wäre. Das ist schon erheblich. Andererseits bestehen die grössten Spannungen ja zwischen China und den USA. Diese beiden Länder machen aber nur drei Prozent des Welthandels aus.
Der Rest der Welt muss jetzt versuchen, diesen Handelskonflikt möglichst nicht auch noch auf diese 87 Prozent auszuweiten.
Sie prognostizieren im Bericht, dass viele chinesische Produkte statt in die USA in andere Märkte gehen werden. Wie sollen sich Europa und die Schweiz vor einer Flut von chinesischen Produkten schützen?
Das ist ja keine Einbahnstrasse: Die deutschen Autos zum Beispiel müssen ja auch irgendwohin. Man sollte nicht nur auf die Importe, sondern auch auf die Exporte schauen und das Problem kooperativ lösen. Nur 13 Prozent der weltweiten Importe gehen in die USA – 87 Prozent entfallen also auf den Rest der Welt. Die restlichen Länder müssen jetzt also versuchen, eine Ausweitung dieses Handelskonflikts zu verhindern. Ich denke, dafür wird es ganz zentral sein, wie man mit diesen Umleitungseffekten umgeht.
Es geht hier um etwas Grösseres: nämlich um das Bewahren des regelbasierten Handelssystems, von dem wir letztlich alle profitieren.
Diese soll man also hinnehmen und jetzt nicht etwa Zölle gegen chinesische Produkte erheben?
Man muss kooperative Lösungen suchen. Sowohl export- als auch importorientierte Staaten müssen sich nämlich bewusst sein, dass es hier um etwas Grösseres geht: nämlich um das Bewahren des regelbasierten Handelssystems, von dem wir letztlich alle profitieren.
Welche kooperativen Lösungen haben Sie im Sinn?
Eine Möglichkeit ist, dass man jetzt nicht vorschnell Zölle erhebt. Eine andere, dass man versucht, die heimische Nachfrage zu stärken – wie beispielsweise in China. Da geht es ja nicht nur um die Umleitungseffekte, sondern auch um Themen wie Überkapazitäten.
Hat sich China zu lange nicht an die Regeln des Freihandels gehalten – wie Donald Trump das Peking vorwirft?
Beim Thema Subventionen etwa bemängeln viele Mitgliedsstaaten – nicht nur die USA – fehlende Transparenz und ungleiche Voraussetzungen. Das muss man natürlich angehen.
Das Handelsbilanzdefizit hängt mit dem Haushaltsdefizit in den USA und der hohen Sparquote in China zusammen.
Trotzdem denke ich, es wäre eine Illusion zu glauben, dass Handelsbilanzdefizite verschwinden würden, wenn es in China oder anderswo weniger Subventionen gäbe. Das hat letztlich makroökonomische Ursachen und hängt mit dem Haushaltsdefizit in den USA und der hohen Sparquote in China zusammen.
Erleben wir gerade den Anfang vom Ende der Globalisierung?
Wir stehen an einem Scheideweg, und es ist nicht klar, wohin der Weg jetzt geht. Es könnte sein, dass wir uns zu einer fragmentierten Welt hin entwickeln, wo einzelne Länder mit den USA und andere mit China Handel betreiben. Solch eine Fragmentierung wäre extrem kostspielig für die Weltwirtschaft. Aber ich könnte mir auch vorstellen, dass durch den Druck, der jetzt entsteht, die nötigen Reformen angepackt werden und das System modernisiert wird.
Das Gespräch führte Damian Rast.