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Zollstreit USA-China Bedeutet der Handelskrieg das Ende der Globalisierung?

Die Welthandelsorganisation (WTO) hat ihren jährlichen Bericht zum Zustand des Welthandels veröffentlicht. Als Folge des US-Zollhammers dürfte das gehandelte Warenvolumen weltweit um 0.2 Prozent schrumpfen, statt wie vorher erwartet um 2.7 Prozent wachsen, heisst es darin. Die Weltwirtschaft stehe am Scheideweg, sagt einer der Autoren – und müsse sich auf ihre Stärken besinnen.

Ralph Ossa

Chefökonom bei der Welthandelsorganisation WTO

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Der Deutsche ist Chefökonom und Direktor der Abteilung Wirtschaftsforschung und Statistik bei der Welthandelsorganisation (WTO). Er trat im Januar 2023 in die WTO ein, nach einer Karriere mit Stationen an der Princeton University, der University of Chicago, London School of Economics und der Universität Zürich, wo er unter anderem die wirtschaftlichen Auswirkungen von Handelskriegen untersucht hat.

SRF News: War es dieses Jahr schwieriger, den Bericht zu erstellen als in anderen Jahren?

Ralph Ossa: Auf jeden Fall. Prognostizieren ist immer eine schwierige Angelegenheit, aber es ist umso schwieriger, wenn sich die Szenarien so oft ändern, wie sie das jetzt tun.

Ein Rückgang des Welthandels um 0.2 Prozent klingt nicht so dramatisch – ist es das auch nicht?

Dazu muss man zwei Sachen wissen: Einerseits sind das fast drei Prozentpunkte weniger, als es ohne die Zölle der Fall gewesen wäre. Das ist schon erheblich. Andererseits bestehen die grössten Spannungen ja zwischen China und den USA. Diese beiden Länder machen aber nur drei Prozent des Welthandels aus.

Der Rest der Welt muss jetzt versuchen, diesen Handelskonflikt möglichst nicht auch noch auf diese 87 Prozent auszuweiten.

Sie prognostizieren im Bericht, dass viele chinesische Produkte statt in die USA in andere Märkte gehen werden. Wie sollen sich Europa und die Schweiz vor einer Flut von chinesischen Produkten schützen?

Das ist ja keine Einbahnstrasse: Die deutschen Autos zum Beispiel müssen ja auch irgendwohin. Man sollte nicht nur auf die Importe, sondern auch auf die Exporte schauen und das Problem kooperativ lösen. Nur 13 Prozent der weltweiten Importe gehen in die USA – 87 Prozent entfallen also auf den Rest der Welt. Die restlichen Länder müssen jetzt also versuchen, eine Ausweitung dieses Handelskonflikts zu verhindern. Ich denke, dafür wird es ganz zentral sein, wie man mit diesen Umleitungseffekten umgeht.

Es geht hier um etwas Grösseres: nämlich um das Bewahren des regelbasierten Handelssystems, von dem wir letztlich alle profitieren.

Diese soll man also hinnehmen und jetzt nicht etwa Zölle gegen chinesische Produkte erheben?

Man muss kooperative Lösungen suchen. Sowohl export- als auch importorientierte Staaten müssen sich nämlich bewusst sein, dass es hier um etwas Grösseres geht: nämlich um das Bewahren des regelbasierten Handelssystems, von dem wir letztlich alle profitieren.

Welche kooperativen Lösungen haben Sie im Sinn?

Eine Möglichkeit ist, dass man jetzt nicht vorschnell Zölle erhebt. Eine andere, dass man versucht, die heimische Nachfrage zu stärken – wie beispielsweise in China. Da geht es ja nicht nur um die Umleitungseffekte, sondern auch um Themen wie Überkapazitäten.

Hat sich China zu lange nicht an die Regeln des Freihandels gehalten – wie Donald Trump das Peking vorwirft?

Beim Thema Subventionen etwa bemängeln viele Mitgliedsstaaten – nicht nur die USA – fehlende Transparenz und ungleiche Voraussetzungen. Das muss man natürlich angehen.

Das Handelsbilanzdefizit hängt mit dem Haushaltsdefizit in den USA und der hohen Sparquote in China zusammen.

Trotzdem denke ich, es wäre eine Illusion zu glauben, dass Handelsbilanzdefizite verschwinden würden, wenn es in China oder anderswo weniger Subventionen gäbe. Das hat letztlich makroökonomische Ursachen und hängt mit dem Haushaltsdefizit in den USA und der hohen Sparquote in China zusammen.

US-Zollankündigung: WTO erwartet Negativfolgen für Nordamerika

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Stopp-Schild vor Containern und Kränen im Hafen.
Legende: REUTERS/Shannon Stapleton

Die US-Zölle haben nach einer Analyse der Welthandelsorganisation (WTO) die grössten Auswirkungen auf die USA selbst – und Kanada. Abgesehen vom Handelsvolumen werde auch die Wirtschaftsleistung stark leiden. Die WTO rechnet dieses Jahr nur noch mit 0.4 statt 2 Prozent Wachstum beim Bruttoinlandprodukt (BIP) in Nordamerika. Sie legt ihre Daten nur für die USA und Kanada zusammen vor.

Die Exporte aus der Region dürften in diesem Jahr um 12.6 Prozent zurückgehen, die Importe um 9.6 Prozent, heisst es in der WTO-Analyse. Vor den Zollankündigungen hatte sie plus 2.2 Prozent bei den Exporten und plus 2.8 Prozent bei den Importen erwartet. Die chinesischen Exporte in die USA gehen nach WTO-Prognosen im derzeitigen Szenario um 77 Prozent zurück.

Europa weniger betroffen

Für Europa sind die Folgen deutlich weniger dramatisch: plus ein Prozent Exporte (statt der vorher erwarteten 1.4 Prozent) und plus 1.9 Prozent Importe statt 2.1 Prozent. Beim BIP sieht die WTO für Europa im laufenden Jahr 1.2 statt 1.4 Prozent Wachstum.

Beim globalen BIP rechnet die WTO 2025 noch mit 2.2 Prozent Wachstum, reduziert von 2.8 Prozent, die sie vor den US-Zollankündigungen erwartet hatte.

2024 wuchs das Handelsvolumen nach WTO-Angaben um 2.9 Prozent und das globale BIP um 2.8 Prozent. In Dollar expandierte der Handel um zwei Prozent auf 24.4 Billionen Dollar.

Erleben wir gerade den Anfang vom Ende der Globalisierung?

Wir stehen an einem Scheideweg, und es ist nicht klar, wohin der Weg jetzt geht. Es könnte sein, dass wir uns zu einer fragmentierten Welt hin entwickeln, wo einzelne Länder mit den USA und andere mit China Handel betreiben. Solch eine Fragmentierung wäre extrem kostspielig für die Weltwirtschaft. Aber ich könnte mir auch vorstellen, dass durch den Druck, der jetzt entsteht, die nötigen Reformen angepackt werden und das System modernisiert wird.

Das Gespräch führte Damian Rast.

Echo der Zeit, 16.4.2025, 18 Uhr ; 

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