Ende Monat beginnt die reguläre Frühjahrssession im UNO-Menschenrechtsrat. Gleich volle fünf Wochen dauert sie diesmal. Das kritisiert der Genfer Menschenrechtsexperte Nicolas Agostini.
Es stehe viel zu viel auf der Agenda. Es gebe zu viele Debatten und Berichte, zu wenig Fokussierung. Er spricht von einem permanenten Stimmenwirrwarr. Dadurch fänden die Kernaufgaben kaum Aufmerksamkeit. Stattdessen kümmere sich der Menschenrechtsrat auch um Anliegen vom Klimawandel bis zur Bekämpfung der Lepra.
Es stimmt, dass die Agenda des Rates in den bald 20 Jahren seines Bestehens immer länger und weiter wurde.
Er bestreitet nicht, dass es dabei fast immer auch Menschenrechtsaspekte gebe. Doch häufig stünden sie nicht im Zentrum. Der Menschenrechtsrat könne unmöglich überall einen sinnvollen Beitrag leisten. Auch Jürg Lauber, der Schweizer Botschafter bei der UNO in Genf, stellt fest: «Es stimmt, dass die Agenda des Rates in den bald 20 Jahren seines Bestehens immer länger und weiter wurde.»
Die Folgen der Dauerüberlastung: Kleine Staaten mit kleinen diplomatischen Missionen können sich nicht mit all den Themen befassen. Ebenso wenig viele der bei der UNO in Genf akkreditierten Nichtregierungsorganisationen. Und immer öfter sind nicht mehr die Botschafter selber im Rat präsent: Sie lassen sich vertreten.
Überlastung ist hausgemacht
Die Überlastung ist jedoch selbstverschuldet. Länder lancieren dauernd neue Resolutionen und Debatten, mitunter zur Selbstprofilierung und zu Dingen, die bei den Wählerinnen und Wählern zuhause gut ankommen.
Und es gibt, angeführt von China, autokratische Regierungen, die ganz bewusst den Menschenrechtsrat in seiner Kernaufgabe schwächen, sagt Elisabeth Tichy-Fisslberger, Österreichs UNO-Botschafterin in Genf. «Sie wollen, dass man von den westlichen Menschenrechtsvorstellungen wegkommt, nämlich, dass Menschenrechte Rechte von Individuen sind.»
Etliche Länder, wie etwa Kuba, verstopfen die Agenda des Rates mit Anliegen, die zwar für alle ein bisschen gelten, aber für kein Land spezifisch. «Sie versuchen, zu vermeiden, dass ihre eigene Situation diskutiert wird. Dazu haben diese Länder immer wieder Mandate erfunden zu sogenannten thematischen Menschenrechtsproblemen.»
Viele Themen versanden später
Auch Lauber sagt: «Es gibt Länder, die es darauf anlegen, den Menschenrechtsrat so stark zu beschäftigen, dass er sich dann vielleicht gewissen Themen nicht widmen kann.» Eine «starke Gruppe von Ländern», darunter die Schweiz, bemühe sich nun um eine Effizienzsteigerung, so der Schweizer UNO-Botschafter.
Doch zurzeit gilt: Im Menschenrechtsrat wird zwar vieles diskutiert und manches beschlossen, doch durchgesetzt wird wenig. Verschärft wird das Problem durch klamme Finanzen. Von den drei grossen UNO-Aufgaben Frieden, Entwicklung und Menschenrechte ist letztere seit jeher das Stiefkind. Lediglich 3.7 Prozent des UNO-Haushalts fliesst hierher. Der Graben zwischen Aufgaben und Mitteln wachse ständig.
Fokus setzen oder zurückziehen
Der Rat müsse mehr Wirkung erzielen, findet Lauber. Aber wie? «Es braucht die nötigen Mittel, Arbeitsmethoden, die effizienter werden, und Konzentration auf die Fragen, die wirklich dringend sind und bei denen wirklich eine Wirkung erzielt werden kann.»
Agostini ist skeptisch. Man stecke in einer Sackgasse. Er fordert, die Agenda zu durchforsten, Prioritäten zu setzen, Mandate zusammenzufassen, sich aus Aufgaben zurückzuziehen. Bloss: Das passiere kaum so bald. Zumal es zahlreichen Staaten sehr recht ist, wenn der Rat sich dauernd selber überfordert.