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Zukunft des Sportjournalismus Vom kritischen Berichterstatter zum blossen Cheerleader?

Sportrechte lagen bisher meist in der Hand des öffentlichen Rundfunks. Nun haben vermehrt Privatsender die Nase vorn.

Europameisterschaft 2016: Ein isländischer Fussballkommentator jubelt über ein entscheidendes Tor. Man stelle sich vor, ein politischer Journalist reagierte im Fernsehen ebenso, und zwar nach einem Wahlsieg seiner Lieblingspartei.

Zwischen Sportjournalismus und Wirtschafts- oder Politikjournalismus gibt es seit jeher grundlegende Unterschiede, sagte Ronny Blaschke, selbst Sportjournalist beim deutschen Fernsehsender NDR: «Es ist ein Grundproblem, dass sich viele Sportjournalisten als Teil des Sports verstehen, nicht als kritische Beobachter.»

Viele Sportjournalisten verstehen sich als Teil des Sports, nicht als kritische Beobachter.
Autor: Ronny Blaschke Sportjournalist beim NDR

Das Problem dürfte künftig noch grösser werden. Denn sportliche Grossereignisse wandern immer öfter zu privaten Bezahlsendern ab. Das Tennisturnier von Wimbledon, die Fussball-EM oder die Champions League sind inzwischen in vielen Ländern nicht mehr im öffentlich-rechtlichen Fernsehen zu sehen.

Im Juni 2015 gelang dem vom US-Konzern Discovery kontrollierten Sender «Eurosport» sogar ein ganz besonderer Coup: Er erwarb die Olympia-Übertragungsrechte von 2018 bis 2024. In Deutschland und anderswo haben die öffentlich-rechtlichen Sender nicht einmal mehr Sublizenzen erhalten.

Macht die gemeinsame Leidenschaft blind?

«Eurosport»-Chef Peter Hutton ist sportbegeistert durch und durch. Nie habe er woanders gearbeitet als in der Sportberichterstattung. Für ihn gebe es nichts Besseres, sagt er. Die Leidenschaft für den Sport treibe ihn an – und der Wille, einem sportbegeisterten Publikum zu geben, wonach es verlange.

Bei Eurosport glaube man fest an Integrität und Fairplay bei allen Sportarten, so Hutton weiter. Ist das Blauäugigkeit – oder einfach Kalkül? Jedenfalls deutet nichts in den Worten des Senderchefs darauf hin, dass sich Eurosport neben der Live-Berichterstattung über Grossereignisse auch fürs Hinterfragen, für Einordnungen, fürs Aufdecken von Skandalen und für Kritik zuständig fühlt.

Es gibt zwei Lebenslügen im Sport.
Autor: Thomas Bach IOK-Präsident

Das dürfte den mächtigen Sportverbänden ganz recht sein. Selbst wenn inzwischen selbst Thomas Bach, der Präsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOK) einräumt, dass es zwei Lebenslügen im Sport gebe: «Sport hat nichts mit Politik zu tun und Sport hat nichts mit Geld zu tun: Beides war immer falsch.»

Schon jetzt steht es nicht zum Besten um die Sportberichterstattung. Oder, wie es Lars Andersson, der in Dänemark das kritische Online-Sportmagazin «Sport Executive» herausgibt, zugespitzt ausdrückt: Es sei leider so, dass viele Sportjournalisten nichts von Wirtschaft, Politik, Kultur oder Gesellschaft verstünden.

Berichterstatter sollen ihre Rolle hinterfragen

Dagegen angehen will man nun an der Universität von Bedfordshire in Grossbritannien, und zwar mit einem der raren Lehrgänge spezifisch für angehende Sportjournalisten. Der frühere BBC-Sportjournalist Adrian Warner lehrt dort.

Er fordert, dass sich Zeitungen, Radio- und Fernsehanstalten nicht einfach als «Cheerleader» verstünden, sondern Distanz wahrten zum Sport, zum Gegenstand, über den sie berichten. Er halte deshalb seine Studenten dazu an, über die Rolle des Sports in der Gesellschaft nachzudenken, auch über Fehlentwicklungen.

Ein Sportjournalist muss auch Fragen der Steuerzahler beantworten, die nichts von Sport halten.
Autor: Adrian Warner Ehemaliger BBC-Sportjournalist

Ein Sportjournalist müsse auch die Fragen jener Steuerzahler beantworten, die nichts hielten vom Spitzensport. Warner ist aber zuversichtlich. Es gebe weiterhin Medien und einzelne Journalisten, die sich als kritische Berichterstatter sähen.

Konflikt zwischen Kommerz und Journalismus

Er räumt aber auch ein, dass diese nicht unbedingt bei jenen Anstalten zu finden seien, die hunderte von Millionen für Sportrechte ausgeben und dieses Geld wieder einspielen wollten, indem sie für ihr Publikum Sportspektakel und heile Sportwelt am Bildschirm inszenierten. Da bestünden unweigerlich Konflikte zwischen kommerziellen und journalistischen Interessen, so Warner.

Mindestens ebenso besorgt stimmt Warner eine andere Entwicklung. Ob es nun um Doping, um Korruption, um Manipulation oder problematische Spiele- und Turniervergaben geht: Gerade im Sport seien Recherchen oft ungemein aufwendig. Sie erstrecken sich auf viele Länder und oft über lange Zeit. Das sei teuer. Und immer weniger Redaktionen könnten sich das leisten.

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