Als erster Staat im arabischen Raum haben die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) ein Atomkraftwerk in Betrieb genommen. Das Land betreibe erfolgreich den «ersten friedlichen Kernreaktor in der arabischen Welt», teilte der emiratische Vizepräsident und Emir von Dubai mit, Scheich Mohammed bin Raschid Al Maktum.
Auf lange Sicht will das rund zehn Millionen Einwohner zählende Land ein Viertel seines Energiebedarfs mit dem Atomkraftwerk und dessen vier Reaktoren decken.
Der Bau eines AKW erstaunt bei einem Land, das über riesige Öl- und Gasvorkommen verfügt und ideale Voraussetzungen für den Betrieb von Solaranlagen hat. «Das erscheint auf den ersten Blick tatsächlich paradox», bestätigt Tobias Zumbrägel, Experte für die Golfregion bei der deutschen Denkfabrik Carpo in Bonn.
Zurück in die Zukunft
«Die emiratische Regierung rechtfertigt den AKW-Bau aber mit energiepolitischen Erwägungen.» Diese seien angesichts des drastisch steigenden Energiebedarfs nicht ungerechtfertigt. «Zudem wird der Verkauf von Öl und Gas aufgrund von Marktschwankungen immer schwieriger und ist nicht mehr so rentabel wie früher.»
Mit der global anrollenden grünen Welle wollen sich auch die Emirate für die Zukunft rüsten – und vor der eigenen Haustüre damit anfangen: «Was man noch an Öl und Gas verkaufen kann, will man loswerden. Hier sind vor allem asiatische Länder, allen voran China, gute Abnehmer», erklärt Zumbrägel.
Die Energiewende soll auch mit erneuerbaren Energien gelingen. So nahm im Raum Abu Dhabi im vergangenen Sommer eine der grössten Solaranlagen der Welt den Betrieb auf. Der ökologische Aspekt habe für die Emirate also durchaus Bedeutung, so der Golf-Experte: «Sie sehen sich gerne als federführend im Umweltschutz.»
Der Bau eines neuen AKW mag diesem Leitgedanken widersprechen. «Es geht aber auch um die strategische Bedeutung, als erste arabische Nation einen Nuklearreaktor erbaut zu haben», sagt Zumbrägel. Die Emirate begannen ihr Programm im Jahr 2009. Auch das benachbarte Saudi-Arabien treibt den Ausbau von Atomkraft voran. Diesen Wettlauf haben die Emirate nun gewonnen.
Zudem sei staatlich kontrollierte Atomkraft ein wesentlicher Aspekt, um das autokratische System zu erhalten, weiss Zumbrägel. Denn die reichen Golfstaaten würden ihre politische Legitimität auch aus kostenloser Energie und anderen Wohlfahrtsgeschenken beziehen. «Damit stellen sie ihre Bürger quasi ruhig.»
VAE wollen kein Schurkenstaat sein
Dass die Atomenergie allein friedlichen Zwecken dienen soll, glaubt er den Emiraten. Zunächst sei der AKW-Bau in enger Zusammenarbeit mit der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA erfolgt. Vor allem aber habe das wohlhabende und ambitionierte Land kaum Lust, dereinst als Schurkenstaat Schlagzeilen zu machen. «Sie sind in einer globalisierten Welt auf eine gute Reputation angewiesen.»
Anders sieht es mit der Sicherheitsfrage in einer konfliktbeladenen Region aus: 2017 drohten bereits die Houthi-Rebellen im benachbarten Jemen, die Nuklearanlage dereinst anzugreifen. Und auch der Konflikt der Golfstaaten mit Iran dürfte auf absehbare Zeit weiter schwelen. «Es ist eine besorgniserregende Entwicklung, wenn mehrere Staaten in einer sehr instabilen Region nuklear aufrüsten wollen», schliesst Zumbrägel.