In den arabischen Golfstaaten sind Millionen von ausländischen Arbeitsmigranten dem sogenannten «Kafala-System» unterstellt. Dieses führt zu einer totalen Abhängigkeit des Arbeiters von seinem Arbeitgeber. Katar hat kürzlich angekündigt, dieses System bis im Januar 2020 abzuschaffen. Man müsse abwarten, wie sich diese Änderung auswirke, meint Experte Mustafa Kadri.
SRF News: Katar will das «Kafala-System» abschaffen – ist diese Ankündigung glaubwürdig?
Ich denke schon. Es werden Gesetze verabschiedet und diese greifen die entscheidenden Punkte des «Kafala-Systems» auf, die Menschenrechtsexperten wie ich schon lange als zentral bei der Ausbeutung von Arbeitern bezeichnen.
Entscheidend ist aber der Vollzug. Die Frage wird sein: Werden die armen Wanderarbeiter im reichen Katar das Gefühl oder die Gewissheit haben, dass sie ihre Menschenrechte auch wirklich wahrnehmen können?
Gehen Sie davon aus, dass sich die Arbeitsbedingungen verbessern und die Standards erhöht werden?
Wir hören anekdotenhaft von Beispielen, bei welchen sich die Arbeitsbedingungen verbessert haben. Die Arbeiter sagen uns, dass es durchaus Wege gibt, auf ihre Situation aufmerksam zu machen. Zu Bedenken gibt es jedoch auch folgendes: Katar ist ein Land im arabischen Golf, keiner der Golfstaaten ist eine Demokratie. Die Region ist politisch sehr volatil und es gibt viele Einschränkungen der Menschenrechte.
Unabhängige Beobachter und Menschenrechtsaktivisten können etwa gar nicht erst in die Vereinigten Arabischen Emiraten oder Saudi-Arabien einreisen. Katar gebührt Anerkennung dafür, dass ein Dialog über Arbeiterrechte stattfinden kann.
Trotzdem bleibt noch sehr viel Arbeit: Es gibt mehr als zwei Millionen Arbeitsmigranten in Katar, die meisten von ihnen im Niedriglohn-Bereich und viele von ihnen werden ausgenutzt. Es wird viele Jahre dauern, diese Situation zu verbessern.
Wieso kündigt Katar gerade jetzt die Abschaffung des «Kafala-Systems» an?
Als Katar den Zuschlag für die Fussball-Weltmeisterschaft 2022 erhielt, erhöhte sich der öffentliche Druck. Dazu beigetragen hat vermutlich auch, dass sich Katar mit seinen Nachbarn Saudi-Arabien und den Emiraten in einem geopolitischen Zwist befindet.
Der Zuschlag der Fussball-Weltmeisterschaft hat die Menschenrechtssituation in Katar ohne Zweifel ins Rampenlicht gerückt.
Vor ein paar Jahren wurde bei der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) in Genf eine offizielle Klage gegen Zwangsarbeit in Katar eingereicht. Auf dieser Grundlage wurde das Land von der ILO unter Beobachtung gestellt, was ein gravierender Schritt ist, der bisher nur in wenigen Ländern gemacht wurde. Das war für Katar eine grosse Peinlichkeit.
2017 einigte sich das Land mit der ILO und Gewerkschaften auf Reformen. Das zeigt: wenn es öffentlichen Druck gibt und ein Staat ein Interesse daran hat, sein Ansehen in der Welt zu verbessern, eröffnet das die Chance, die Menschenrechtssituation in dieser Gesellschaft zu verbessern.
Für die Arbeitsmigranten in Katar war es somit gut, dass das Land den Zuschlag zur Austragung der WM erhalten hat?
Der Zuschlag hat die Menschenrechtssituation in Katar ohne Zweifel ins Rampenlicht gerückt. Das ist in den Nachbarländern anders. Wir sollten nicht vergessen, dass die Bedingungen für Wanderarbeiter in den Emiraten, Saudi-Arabien, Kuwait und Bahrain auch schlecht sind. Diese Länder erhalten nicht die gleiche Aufmerksamkeit wie Katar.
Das Gespräch führte Simone Hulliger.