Der britische Politologe Anthony Glees hat gehofft, dass die Queen Boris Johnsons Antrag ablehnt. Er sieht in der Zwangspause für das Parlament einen Verstoss. «Letzten Endes ist die Königin kein Schmuckstück. Der Entscheid war nicht richtig: Wir haben eine parlamentarische Demokratie, keine Präsidialdemokratie.» Johnsons Manöver sei zwar kein Staatsstreich, aber es komme diesem nahe – «und das in der ältesten Demokratie der Welt».
Seit fünf Wochen Premierminister, hat sich Johnson einmal im Parlament gezeigt, um sich vorzustellen. «Ansonsten hat er alles ohne die Legislative gemacht», erzählt Glees. Er findet klare Worte: «Mitten in einer politischen und wirtschaftlichen Krise das Parlament in die Ferien zu schicken ist nicht britisch, sondern südamerikanisch.» Die vier Wochen seien die längste Ferienzeit der neueren Geschichte.
Kann die Parlamentspause verhindert werden, ist dies das Ende von Boris Johnson.
Glees glaubt, dass die Zwangspause nun von Gerichten darauf geprüft wird, ob sie rechtens ist. «Kann die Parlamentspause verhindert werden, ist dies das Ende von Boris Johnson.» Dass der Premier zu Neuwahlen aufruft, hält Glees ebenfalls für unwahrscheinlich. «Die Menschen, die den Brexit als Fehler betrachten, sind nun in einer ständigen Mehrheit.»
Opposition muss Kräfte bündeln
«Der Premierminister befindet sich in einer verzweifelten Lage», schätzt Wera Hobhouse. Sie ist gebürtige Deutsche und Abgeordnete der «Liberal Democrats» im britischen Unterhaus. Die Oppositionspartei verfügt derzeit über 14 von 650 Sitzen. Auch sie sagt: Das Parlament einfach auszuschalten, sei ein undemokratischer Schritt.
Wichtig sei jetzt, sich über Parteigrenzen hinweg zusammenzufinden. Ein Anfang ist bereits getan: Hobhouse hat mit 160 weiteren Parlamentarierinnen und Parlamentariern eine Erklärung unterzeichnet, um einen Brexit ohne Abkommen zu verhindern. Sie ist überzeugt: Diese Stimme wird gehört. «Noch ist Grossbritannien keine Diktatur.»
Denn Johnson hat im Parlament nur eine hauchdünne Regierungsmehrheit von einer Stimme. «Es gibt Mitglieder in seiner eigenen Partei, die den No Deal stoppen wollen. Das geht aber nur über den parlamentarischen Weg.» Deshalb auch die Zwangspause. Aber: «Will der Premierminister gegen den Willen des Parlaments einen No Deal durchziehen, würde das in einer politischen Dauerkrise münden», ist die Liberaldemokratin überzeugt.
Für Politologe Glees ist es wahrscheinlicher, dass Johnson einen Weg mit der EU sucht. «Es ist jedoch klar, dass er dem Parlament keine Möglichkeit geben will, über einen No Deal zu debattieren.» Aber einen Deal mit der EU auszuhandeln, während das Parlament pausiert, sei gefährlich: «Hat man es einmal getan, kann man es etliche Male machen. Dann hört das Land auf, eine parlamentarische Demokratie zu sein.»
Hobhouse gibt die Hoffnung nicht auf, dass die britische Demokratie überlebt: «Wenn Johnson schon immer vom Willen des Volks spricht: Es gibt einen grossen Unwillen im Volk. Das hat sich bei den jüngsten Demonstrationen wieder gezeigt.» Diesen Unmut weiter aufzuschüren sei unklug für einen Premier, der wiedergewählt werden möchte. «Die Stärke von Johnson muss man ernst nehmen. Aber genauso die Macht der Strasse», sagt auch Glees.