Viola Amherd hat die Kampfjet-Abstimmung zur Schicksalsfrage für die Schweizer Luftwaffe gemacht. Und kam am Sonntag gehörig ins Zittern: Mit 50.1 Prozent segnete das Stimmvolk die neue Flieger-Flotte ab. Das Verdikt der Verteidigungsministerin: «Kampfflugzeuge waren schon immer umstritten.»
Die Gruppe für eine Schweiz ohne Armee (GSoA) wittert Morgenluft. Sie liebäugelt mit einem Referendum gegen den konkreten Beschaffungsentscheid. Doch ist das Abstimmungsresultat Ausdruck einer neu erwachten Skepsis gegenüber Rüstungsgeschäften?
Der Militärhistoriker Michael Olsansky relativiert: «Teure Rüstungsgeschäfte hatten es in der Schweiz immer unglaublich schwer.» Der Dozent an der ETH Zürich erinnert an Artilleriebeschaffungen, die wegen ihres happigen Preisschilds kaum vom Fleck kamen. «Nach dem Zweiten Weltkrieg stutzte das bürgerliche Parlament ganze Rüstungsprojekte.»
Eine epochale Wende erkannte der Militärhistoriker am 27. September 2020 also nicht. Wohl aber ein typisch schweizerisches Anforderungsprofil an die Armee: «Es gibt ein Politspektrum in der Schweiz, das zwar eine Armee will – aber bitte eine, die sich nicht an der Entwicklung der Kriegführung und der internationalen ‹Pacemaker›-Armeen ausrichtet.»
Von der Schweizer Armee würde anderes erwartet: Lowtech statt Hightech, Kostenbewusstsein, keine militärische Übersteuerung. «Dieses Denken hat in der Schweiz Kontinuität.» In diesem republikanischen Gedanken, wie ihn Olsansky nennt, soll die Armee keine abgehobene Expertenanstalt, sondern quasi im helvetischen Naturell geerdet sein.
Im Abstimmungskampf monierten Kritiker, dass die wahre Gefahr im 21. Jahrhundert nicht aus der Luft komme: Stichwort Cyberattacken. Hängt die Schweizer Armee einem veralteten Bild der Kriegführung nach? Auch hier relativiert der Militärexperte.
Quer über Europa – von den Niederlanden über Dänemark bis nach Bulgarien – stünden derzeit Kampfjetbeschaffungen an. «Niemand, der heute in einem relevanten sicherheitspolitischen Forschungsinstitut arbeitet, wird Ihnen erklären, dass künftige Kriege nur noch aus der Glasfaser kommen.»
Bewaffnete Konflikte auf Schweizer Boden sind heute nur noch Stoff für Historiker. In die grossen Kriege des 20. Jahrhunderts war die Schweiz nicht involviert. Dass sie derart lange verschont wurde, schlage auf die Wahrnehmung der Armee in der Bevölkerung durch, sagt Olsansky.
Doch in ganz Westeuropa veränderten sich die sicherheitspolitischen Mentalitäten. Olsansky schliesst sich dem Politologen Herfried Münkler an, der den Begriff der «postheroischen Gesellschaften» prägte: Opfermut und Heldentum, die in «heroischen Gesellschaften» gefeiert werden, verlieren ihre Bedeutung. Stattdessen wird der Staat für Münkler zur «Versorgungsanstalt».
«Postheroische» Schweizer?
Harte Fragen der Sicherheitspolitik würden in den Hintergrund treten, folgert Olsansky. «Es wird unpopulär, sich mit solchen Dingen zu beschäftigen». Dies sei auch im Abstimmungskampf zu den Kampfjets sichtbar geworden. «Die Krisen im südosteuropäischen Raum wurden ziemlich negiert.»
So schliesst der Militärhistoriker: Der Urnengang sei durchaus eine Schicksalsstunde gewesen. «Wir wären wohl in eine Periode hineingelaufen, in der die Schweiz über keine kombattanten Flugzeuge mehr verfügt hätte. Diesen Knowhow-Verlust macht man so schnell nicht wett.»