Die gestrige Demonstration der Gewerkschaften gegen einen Rentenabbau auf «Kosten der Frauen» könnte fast schon als inoffizieller Auftakt zum Abstimmungskampf gegen eine AHV-Reform bezeichnet werden. Diese wird für das kommende Jahr erwartet. Vor 26 Jahren gelang das Kunststück letztmals, ein höheres Frauenrentenalter an der Urne durchzubringen. Doch heute stehen die Vorzeichen anders.
Unter dem Motto «Hände weg von der AHV» gingen vor 18 Jahren mehr als 20'000 Menschen auf die Strasse. Zur Demo aufgerufen hatten 2004 auch Linke und Gewerkschaften. Acht Monate später versenkte das Volk das höhere Frauenrentenalter wuchtig mit einem Zweidrittelsmehr.
Diese Abstimmung 2004 habe etwas gezeigt, was bis heute gelte – analysiert Politikwissenschafter Claude Longchamp: «Wenn die Gewerkschaften ein Referendum ergreifen und das mit einer Forderung verbinden, dass es keinen Sozialabbau geben darf, dann halte ich die Gewerkschaften mit dem Mitte-Links-Spektrum in der Schweiz potenziell für mehrheitsfähig.»
Die Forderungen werden immer lauter.
Das war nicht immer so. 1995 gelang die letzte grosse AHV-Reform – inklusive Erhöhung des Frauenrentenalters von 62 auf 64. Zwar waren auch damals SP und Gewerkschaften dagegen, aber die Rentenalter-Erhöhung war viel grosszügiger abgefedert, als das heute geplant ist.
Die 1990er-Jahre seien mit heute nicht mehr vergleichbar, sagt Longchamp. Ein Abbau von Leistungen bei den Sozialwerken unter dem Strich sei damals noch weitgehend tabu gewesen, im Parlament habe man den Kompromiss gesucht – ganz anders aktuell: «Die Forderungen werden immer lauter.» Es solle keine «Ausbauvorlage» mehr sein. Es solle vielmehr eine Sparübung oder ein Leistungsabbau sein. «Ich denke, das ist der ganz grosse Wandel, der stattgefunden hat.» Das sei auch der Wandel, der diese schwere Kompromissfindung eigentlich bedinge.
Ohne Frauen in diesem Land gibt es keine AHV-Reform.
Das zeigte sich 2017 erneut, als die Linke zwar für eine Reform der Sozialwerke im Boot war, dafür aber die Bürgerlichen ausscherten und in der Volksabstimmung die Reform bodigten.
«Ohne Frauen in diesem Land gibt es keine AHV-Reform.» Noch ist dieses Statement von SP-Nationalrätin Tamara Funiciello (BE) Wunschdenken. Laut Umfragen gibt es im Volk eine Mehrheit für das Frauenrentenalter 65. Allerdings, so Claude Longchamp, sei entscheidend, wie stark die Reform als Sozialabbau-Vorlage wahrgenommen werde.
Weitere Beratungen in den Räten werden es zeigen
Das Argument, die Rentenalter-Erhöhung sei zu wenig abgefedert, werde eine zentrale Rolle spielen. Auch die Forderung, zuerst müsse die Lohngleichheit zwischen Mann und Frau erreicht sein, werde es schwierig machen, eine Reform durchzubringen. «Ich glaube, die beiden Positionen werden im Abstimmungskampf kommen, sodass es mich nicht erstaunen würden, wenn aus der knappen Mehrheit für die Erhöhung des Frauenrentenalters eine knappe Minderheit würde», folgert Longchamp weiter.
Noch ist das AHV-Reform-Paket nicht fertig geschnürt. Die nächsten Beratungsrunden in National- und Ständerat werden zeigen, wie grosszügig die Lösung, wie breit der Konsens, und wie tragfähig der Kompromiss am Ende noch wird.