In den letzten Tagen wurden am Südpol Temperaturen gemessen, die 40 Grad höher sind als normal. Italienische Forschende haben auf Twitter ein Foto geteilt, auf dem sie in Boxershorts posieren, bei für die Antarktis ungewöhnlichen minus 12 Grad Celsius. Laut Reto Knutti, ETH-Professor und Klimaforscher, sind solche Temperaturen in der Antarktis selten. Die Extreme werden sich aber häufen.
SRF News: Forschende nennen die Temperaturen beispiellos, historisch, dramatisch. Teilen Sie diese Einschätzung?
Reto Knutti: Tatsächlich kommt man mit Superlativen hier fast nicht mehr nach. Ein solches Ereignis ist kaum zu beschreiben. Aber vielleicht noch eindrücklicher ist es, wenn man es in den Kontext von bestehenden Rekorden stellt. Normalerweise werden diese um ein paar Zehntel gebrochen. Hier hat man den Rekord für März um 15 bis 20 Grad je nach Station gebrochen. Man hat wirklich alles Bestehende pulverisiert.
Wie wahrscheinlich ist so ein Extremereignis am Südpol?
Das Wetter ist natürlich an allen Orten variabel. Aber hier sind wir in einem Bereich, den man als vielleicht eins zu einer Million oder sogar noch weniger charakterisieren würde. Allerdings sind die letzten 30 bis 50 Jahre des Wetterbeobachtens einfach nicht geeignet, um das überhaupt zu beurteilen. Wir entdecken hier einen ganz neuen Spannbereich.
Das ist eine verrückte Wetterkonstellation, aber es ist auch klar: Der Klimawandel hat seine Finger im Spiel.
Wie können solche Temperaturen am Südpol entstehen?
Normalerweise ist die Antarktis relativ abgeschottet vom Rest der Welt bezüglich Wetter. Aber ab und zu gibt es Wettersysteme, die auch auf das antarktische Plateau kommen. In diesem Fall ist es ein relativ enger Korridor von sehr feuchter, warmer Luft (ein «atmosphärischer Fluss», Anm. d. Red.). Das ist eine verrückte Wetterkonstellation, aber es ist auch klar: Der Klimawandel hat seine Finger im Spiel. Es ist ein Symbol für das, was wir überall sehen; eine Zunahme von extrem heissen Situationen.
Wie schlimm sind solche Temperaturen effektiv?
Am Südpol selbst passiert jetzt konkret nichts. Aber es ist auch an anderen Orten in der Antarktis sehr warm. Und allein in der Antarktis sind etwa 60 Meter Meeresspiegel gespeichert, in gigantischen Eismassen. Also wenn nur ein kleiner Teil von der Antarktis schmilzt, nicht im Zentrum, sondern am Rand, auch aufgrund von höheren Wassertemperaturen, dann haben wir natürlich ein grosses Problem, weil der Meeresspiegel steigt und viele Städte nahe am Meer liegen.
Die jetzige Hitzewelle folgt auf einen extrem strengen Winter mit Minusrekorden in der Antarktis. Wie muss man das verstehen?
Diese Ereignisse haben nicht zwingend immer einen direkten Zusammenhang. Was wir aber klar sehen, ist, dass die Häufung von heissen Situationen, Dürren und starken Niederschlägen mit entsprechenden Auswirkungen auch mit dem Klimawandel in Verbindung stehen. Das wird sich auch in Zukunft so entwickeln. Wir werden nicht nur eine Häufung von Extremen beobachten, wie wir sie kennen, sondern auch welche sehen, die weit über das Bekannte hinausgehen.
Das hat nichts mit Alarmismus zu tun, das ist die Realität.
Kritiker würden das als alarmistisch bezeichnen. Was sagen Sie?
Das hat nichts mit Alarmismus zu tun. Das ist die Realität. Der Klimawandel ist menschgemacht, und die Zeichen sehen wir nicht erst in der Zukunft, sondern heute. Das sind die Fakten, die kann man nicht bestreiten. Wir können hingegen darüber diskutieren, wie wir damit umgehen. Da gibt es durchaus Diskussionsbedarf. Im Moment sind wir nicht auf Kurs. Wir haben zwar ein Klimaziel ratifiziert. Aber die Anstrengungen, es zu erreichen, sind bei weitem ungenügend.
Das Gespräch führte Adam Fehr.