Das Swiss Space Office SSO – so etwas wie die Nasa der Schweiz, nur sehr viel kleiner – hatte letzten Sommer die Werbetrommel gerührt für die ESA-Kampagne.
Mit dem Ziel, dass sich möglichst viele fähige Menschen anmelden für die Stelle als Astronautin oder Astronaut. Was es braucht, um Astronaut zu sein, weiss Claude Nicollier. Damit ist er in der Schweiz der einzige, denn seit seinen Weltraumabenteuern wartet die Schweiz auf ihre nächste Vertretung im Weltraum.
Mit der ersten Astronauten-Kampagne seit dreizehn Jahren rechnet sich das Swiss Space Office nun grosse Chancen aus. Zum einen, weil die Schweiz zu den grossen Geldgebern der ESA gehört. Mit 150 Millionen Franken pro Jahr ist der Beitrag deutlich höher als jener beispielsweise von Österreich, Schweden oder Norwegen.
Zum anderen zeigen aber offizielle Zahlen der ESA, dass die Bemühungen des SSO Früchte getragen haben. Aus der Schweiz gingen 670 Bewerbungen ein.
Das ist das, was wir uns erhofft hatten. Vor allem ist das deutlich mehr als bei der Kampagne 2008.
Gemessen an der Gesamtbevölkerung lieferten von den 25 ESA-Mitgliedstaaten nur Frankreich und Luxemburg mehr Bewerbungen im Verhältnis zur Bevölkerungszahl. Dritter Platz also für die Schweiz. Unsere anderen Nachbarländer schnitten allesamt schlechter ab.
Renato Krpoun, Leiter des Swiss Space Office, freut sich über dieses Resultat: «Das ist das, was wir uns erhofft hatten. Vor allem ist das deutlich mehr als bei der Kampagne 2008.»
Wenige Bewerbungen von Frauen
Weniger rühmlich sieht das Schweizer Resultat aus, wenn man die Bewerbungen nach Geschlechtern unterteilt. Hier liegt die Schweiz an zweitletzter Stelle. Gerade mal 17.8 Prozent der Bewerbungen kommen von Frauen.
Einzig Norwegen steht noch etwas schlechter da, mit 17.6 Prozent. In Estland und den Niederlanden waren es über 30 Prozent. Der Durchschnitt über alle Länder liegt bei 24 Prozent.
Weshalb es derart hapert in Sachen Astronauten-Kandidatinnen aus der Schweiz, kann sich Renato Krpoun nur teilweise erklären: «Für uns ist es schwierig, diese Situation zu analysieren. Denn wir leiten die Kampagne nicht. Das macht die ESA. Wir haben deshalb keinen Einblick in einzelne Dossiers».
Ein mögliches Hindernis macht Krpoun jeodoch bei den Anforderungen aus: «Wir stellten fest, dass als Bedingung für eine Bewerbung ein Masterabschluss im MINT-Bereich, in der Medizin oder eine Ausbildung als Testpilot oder Testpilotin vorausgesetzt wurde.»
Mittlerweile ist die erste Phase des Auswahlprozesses abgeschlossen. 1391 Personen befinden sich in der zweiten Runde. Interessantes Detail: Der ursprüngliche Anteil von Frauen bei den Bewerbungen lag europaweit bei 24 Prozent.
Bei der Auswahl für die zweite Runde liegt der Frauenanteil nun bei 39 Prozent. Entweder waren also die weiblichen Bewerbungen zwar weniger, aber dafür qualitativ besser. Oder aber die ESA steuert schon in der Anfangsphase bewusst auf ein ausgeglicheneres Verhältnis hin.
Wenig Frauen wählen MINT-Fächer
Dieser Umstand ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass sich nur wenig Frauen auf den Astronautenjob beworben haben. Das Problem beginnt schon in der Ausbildung.
Viel weniger Frauen wählen sogenannte MINT-Fächer. Also Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik. Das zu ändern, ist das Ziel des MINT-Frauennetzwerks. Dieses organisiert verschiedene Anlässe, wie zum Beispiel Experimentiertage, Exkursionen oder Mentorate speziell für junge Frauen.
Der Anteil der Mädchen und jungen Frauen im Gymnasium, welche ein MINT-Schwerpunktfach wählen und dann auch ein MINT-Fach studieren, ist nach wie vor klein.
Gabriela Pejic ist Projektleiterin des MINT-Frauennetzwerks und Rektorin an der Kantonsschule Menzingen. Die studierte Chemikerin umschreibt die aktuelle Situation so: «Der Anteil der Mädchen und jungen Frauen im Gymnasium, welche ein MINT-Schwerpunktfach wählen und dann auch ein MINT-Fach studieren, ist nach wie vor klein. Nehmen wir zum Beispiel die ETH. Von allen Studierenden sind immer noch nur 30 Prozent weiblich.»
Weniger Beeinflussung durch Rollenbilder
Ein Problem sei, dass sich alt hergebrachte Rollenbilder noch immer hartnäckig halten würden. Pejic erlebt das immer wieder im Schulbetrieb. «Wenn zum Beispiel ein Mädchen gut ist in einem MINT-Fach, dann heisst es oft, das Mädchen sei fleissig oder habe sich gut auf die Prüfung vorbereitet. Bei einem jungen Mann heisst es, der ist begabt in diesem Fach.»
Ihr Wunsch ist, dass junge Frauen die Berufswahl aufgrund von ihren Interessen und Fähigkeiten treffen und sich nicht von den bestehenden Rollenbildern leiten lassen.
Dem Ruf der Raumfahrt folgen
Ein gutes Beispiel ist Deborah Müller. Die 34-jährige Ingenieurin arbeitet als Managerin beim Raumfahrtunternehmen RUAG. Sie hat sich für den Job als Astronautin beworben.
Sie verfolgt damit einen Kindheitstraum: «Seit ich vier Jahre alt war, ist das mein grösster Traum. Natürlich erhofft man sich eine kleine Chance, zum Ziel zu gelangen. Aber schon der Weg dorthin ist ein Traum. Ich habe meine ganze Karriere in die Raumfahrt investiert. Dadurch wird das immer in mir schwirren. Ob es nun passt oder nicht.»
Deborah Müller engagiert sich seit Jahren aktiv in der Frauenförderung. Sie besucht Schulen, hält Vorträge und würde als Astronautin auch Vorbild sein wollen für junge Frauen, die sich davon inspirieren lassen könnten.
Mangel an MINT-Fachkräften
Die Raumfahrtbranche wächst. Mit den verschiedenen privaten Unternehmen wie Virgin Galactic, Blue Origin oder SpaceX hat die Raumfahrt neuen Schwung erhalten. Bis heute sind rund 600 Menschen in den Weltraum gereist. Doch nur etwa 70 davon waren Frauen.
Am ungleichen Verhältnis wird sich so schnell nichts ändern. Denn auch heute noch sind Astronautinnen in der Minderheit. Deborah Müller hofft, dass sie als Astronautin bei jungen Frauen das Interesse an MINT-Fächern wecken könnte.
Wir haben allerdings noch einen langen Weg vor uns.
Auch Gabrijela Pejic würde sich einen wertvollen Schub erhoffen: «Der Schweiz mangelt es ganz allgemein an MINT-Fachkräften, und zwar an Männern und Frauen. In der Schweiz wurde das Problem schon erkannt und es wird bereits viel im Bereich MINT-Förderung allgemein, aber auch im Bereich MINT-Frauenförderung im Besonderen unternommen. Wir haben allerdings noch einen langen Weg vor uns.»
Economiesuisse unterstützt beispielsweise einen politischen Vorstoss zur Steigerung des Frauenanteils in MINT-Berufen bis ins Jahr 2030.
Schön sei, dass in Bildung, Politik und Wirtschaft nun verschiedene Anstrengungen gemacht würden. «Economiesuisse unterstützt beispielsweise einen politischen Vorstoss zur Steigerung des Frauenanteils in MINT-Berufen bis ins Jahr 2030», so Pejic. Zudem wird das MINT-Frauennetzwerk vom eidgenössischen Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann unterstützt.
Schweizer Vertretung im All hätte Signalwirkung
Es braucht Anstrengungen auf unterschiedlichsten Ebenen. Eine Schweizer Vertretung im Weltraum hätte vor allem eine Signalwirkung. Und die Chancen sind nach wie vor intakt.
Deborah Müller hat es nämlich in die zweite Runde geschafft und wartet nun auf einen positiven Bescheid, um ihrem Kindheitstraum wieder einen Schritt näherzukommen.