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Verschwörungstheorien haben mehr Zulauf in Belastungssituationen
Aus SRF 4 News aktuell vom 11.05.2020. Bild: Keystone
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Demos gegen Corona-Lockdown «Verunsicherte suchen etwas, an dem sie sich abarbeiten können»

Trotz Demonstrations- und Versammlungsverbot sind am Samstag in Bern, St. Gallen, Zürich und Basel einige 100 Gegnerinnen und Gegner der Massnahmen des Bundesrats zur Eindämmung des Coronavirus auf die Strasse gegangen. Holm Hümmler schreibt zum Thema Verschwörungstheorien. Er geht davon aus, dass ein Viertel der Leute solchen Protestbewegungen zuneigen.

Holm Hümmler

Physiker

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Holm Hümmler ist Physiker, Unternehmensberater und Autor von Büchern wie «Relativer Quantenquark». Er untersucht pseudowissenschaftliche Behauptungen.

SRF News: Wie erklären Sie sich das Aufkommen von Demonstrationen gegen die Corona-Massnahmen der Regierungen?

Holm Hümmler: Es ist eine Situation, die für alle Menschen schwierig ist. Sie ist zum einen schwer zu verstehen, weil so eine Krankheit etwas ist, was uns nicht alle Tage begegnet. Sie ist aber auch extrem belastend. Viele Menschen können ihrer Arbeit nicht normal nachgehen oder sie haben keine Kinderbetreuung. Sie können Familienangehörige möglicherweise nicht besuchen. Und viele haben auch tatsächlich Angst vor der Krankheit. Wenn man all dies mit sich herumschleppt, sucht man sich innere Fluchtmöglichkeiten – und dann kommt solches Denken auf.

Im Teilnehmerfeld sind Rechtsextreme und Impfgegner, Verschwörungstheoretiker und Reichsbürger. Wie passt das zusammen?

Das passt aus unterschiedlichen Gründen. Den Rechtsextremen ist vollkommen egal, wen sie mobilisieren können. Hauptsache, sie haben Leute, die mit ihnen mitmarschieren und die sie in ihre Gedankenwelt hineinziehen können.

Wir neigen alle dazu, Muster in unserer Umwelt zu erkennen. Selbst dann, wenn da keine Muster sind.

Und dann gibt es die verschwörungsgläubige Szene. Für sie ist es kein Problem, dass sich Verschwörungsmythen untereinander widersprechen. Ob die Erde flach oder hohl ist, ist schon fast egal. Und dann gibt es noch viele Verunsicherte, die einfach nur irgendetwas suchen, an dem sie sich abarbeiten können, weil die Situation für sie gerade schwierig ist.

Ist es einfach eine Art, sich an etwas festzuhalten, weil man unsicher ist?

Ja, wir können alle schlecht mit Zufälligkeiten umgehen und damit, dass der Zufall in gigantischem Umfang unser Leben bestimmt. Wir alle neigen dazu, Muster in unserer Umwelt zu erkennen, weil wir das zum Überleben brauchen – selbst dann, wenn da keine Muster sind. Wir haben alle eine Neigung dazu, Mächtigen zu misstrauen. Das sind ganz normale und gesunde Tendenzen. Wenn das aus dem Ruder läuft, kann es in ein Verschwörungsdenken münden.

Gibt es denn auch einen gemeinsamen Nenner dieser Gruppen?

Der gemeinsame Nenner ist, dass man diese Gegenmassnahmen, diesen «Lockdown» einfach nicht will, weil er gegen die eigenen Vorstellungen vom Leben geht. Es sind viele Leute dabei, die sagen würden: «Ist ja nicht so schlimm, wenn ein paar von den Alten wegsterben.» Nur ist das eine Diskussion, die sie nicht führen wollen, weil sie sich damit ethisch angreifbar machen. Also diskutieren sie lieber darüber, dass die Fakten falsch seien.

Jeder kann seine eigenen Werte haben, aber nicht jeder seine eigenen Fakten.

Das ist ein Problem, weil in der Gesellschaft jeder seine eigenen Werte, aber nicht jeder seine eigenen Fakten haben kann. Man bestreitet Fakten, weil man nicht offenlegen will, dass man mit dem Wertesystem nicht einverstanden ist.

Welches Potenzial hat diese Bewegung?

Wir haben eine gewisse Erfahrung, wie viele Leute solchen Protestbewegungen zuneigen. Es sind so zwischen 10 und 25 Prozent, je nachdem, wie gerade die Stimmung ist in einer Gesellschaft. Wenn eine grosse Belastung da ist, geht es mehr in Richtung 25 Prozent. Damit muss man als Gesellschaft irgendwie klarkommen. Man sollte schauen, dass es nicht total überkocht und man dabei die gesellschaftliche Mitte verliert.

Das Gespräch führte Silvan Zemp.

SRF 4 News, 11.05.2020, 09:35 Uhr ; 

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