Es ist eine beunruhigende Entwicklung im Internet: Der Hass auf Frauen macht sich immer stärker und öfter bemerkbar. Gewisse Männer lassen ihrem Frust gegen die Emanzipation freien Lauf. Manchmal bleibt es nicht dabei.
Der Anschlag in Toronto, bei dem am 23. April zehn Menschen getötet und dreizehn weitere verletzt worden sind, soll seinen Ursprung in einer Online-Subkultur haben, in der der Frauenhass eine zentrale Rolle spielt. Die Rede ist von «Incel», unfreiwilligen Zölibatären. Der Soziologe Rolf Pohl spricht über das Phänomen und den Ursachen des Frauenhasses.
SRF News: Rolf Pohl, geht es beim Frauenhass im Internet vor allem um sexuellen Frust?
Rolf Pohl: Es geht um sexuellen Frust. Gleichzeitig wird aber immer auch ein bestimmtes Frauenbild transportiert. Darin sind Frauen keine eigenständigen Subjekte, sondern schulden den Männern Liebe, Respekt, Bewunderung und vor allen Dingen auch Sex. Letzteres spielt eine grosse Rolle und darin steckt das unfreiwillig Zölibatäre.
Es ist kaum zu ertragen, was für ein unglaublich negatives Frauenbild man in Foren antrifft.
Interessant ist, dass es sich bei ihnen meist um junge Männer handelt, Adoleszente und Spätadoleszente. Wenn Frauen ihnen das Gewünschte verweigern, sehen sie sich im Recht, die Frauen dafür zu bestrafen und sich das Gewünschte mit Gewalt zu nehmen. Das ist der gemeinsame Kern dieser Netz-Community.
Ist das eine neue Entwicklung?
Die Entwicklung geht mit anderen Strömungen einher, die sich in eine ähnliche Richtung entwickeln: gegen Frauen, gegen Feminismus, gegen Genderismus. Sie wurzelt in den männerrechtlichen und maskulinistischen Szenen, die im Internet sehr verbreitet und untereinander vernetzt sind. Diese liefern das Rüstzeug für die Ideologie. In zahlreichen Foren, Blogs und Netzwerken transportieren sie ein ähnliches Frauenbild. Männer, die im Netz Orientierung suchen, finden diese Vorbilder und werden offensichtlich davon angesteckt.
Es ist nicht nur der pure Hass auf Frauen, sondern immer auch die Faszination von Weiblichkeit.
Beim Anschlag von Toronto etwa ist es nicht nur beim Hassen geblieben. Es kam auch zur Tat und zu Toten. Wie gefährlich sind Frauenhasser?
Dazu müssen individuelle und biografische Besonderheiten zusammenkommen: geringe Kränkungsbereitschaft, möglicherweise ein hohes Aggressionspotenzial, vielleicht andere soziale Frustrationen, Krisenbewältigung und so weiter. Von Frauenhass motivierte Gewalttaten sind aber wirklich keine Einzelfälle. Sie lassen sich auch mit dem Phänomen der Schulschiessereien in Verbindung bringen. Der letzte grosse Fall in Deutschland war 2009 in Winnenden. Ein Motiv des Täters war eindeutig Frauenhass und auch die sexuelle Verweigerung der Mädchen. Er hat gezielt Schülerinnen und Lehrerinnen umgebracht.
Dass Anders Behring Breivik beim Massenmord in Norwegen mit 77 Toten neben muslimfeindlichen Motiven auch aus eindeutigem Frauenhass gehandelt hat, wird in der Diskussion immer gerne unterschlagen. Der Hass und die potenzielle Gewaltbereitschaft, die dahinter stecken, ist ein viel verbreiteteres Phänomen als wir glauben. Für die Taten liefern vor allem die maskulinistischen und männerrechtlichen Bewegungen das ideologische Rüstzeug. Sie sind die Theorie, der Hass und die Gewaltbereitschaft sind die Praxis.
Zahlreiche Studien belegen: Frauen erfahren im Internet grundsätzlich mehr Hass als Männer. Da sind wohl nicht nur die unfreiwilligen Zölibatäre am Werk?
Nein. Es gibt sehr viele unterschiedliche, sehr heterogene Gruppierungen, die teilweise auch miteinander zerstritten sind. Sie haben aber alle einen gemeinsamen Nenner: Die Abwehr und zugleich auch die Faszination von Weiblichkeit. Es ist nicht nur der pure Hass auf Frauen, sondern immer auch diese Mischung: Die jungen Männer brauchen die Frauen zwar, aber diese dürfen sich niemals auf dieselbe Stufe mit ihnen stellen. Darin wurzelt der Antifeminismus, bei dem die Frauen dafür bestraft werden, was sie den Männern in den letzten Jahren angetan haben.
Die Diskussion über die Krise der Männlichkeit ist bis in die überregionalen, meinungsbildenden Medien hinein sehr breit verankert. Und immer schwingt dabei eine bestimmte Vorwurfshaltung gegenüber Frauen mit: Der Siegeszug des Feminismus – manche sprechen vom «Feminat» oder sogar vom «Femifaschismus» – sei inzwischen so weit gediehen, dass der Mann ins absolut tiefste Unglück gestürzt sei und sich sein Wesen nicht mehr entfalten könne.
Die Betreiber müssten ihre Netzwerke wesentlich stärker kontrollieren und schneller auf Frauenhass reagieren.
Was können Frauen und auch Männer gegen den Hass im Netz tun?
Die Sexismus-Debatten der letzten Jahre und die aktuelle «MeToo»-Debatte erschöpfen sich jeweils langsam und schlafen ein, sobald sie an die dahinter steckenden Strukturen des Geschlechterverhältnisses geraten. In dieser Beziehung sind wir längst nicht so modern, wie wir glauben, es schon die ganze Zeit zu sein. Daran müssten wir wirklich arbeiten. Dazu ist Aufklärung wichtig, aber nicht nur über Einzelfälle.
Es geht nicht nur darum, Leute an den Pranger zu stellen, die mal sexistisch oder übergriffig waren. Man müsste versuchen, die dahinter steckenden Strukturen herauszuarbeiten. Ausserdem sollten sich auch viel mehr Männer an dieser Diskussion beteiligen.
Welche Verantwortung tragen die Social-Media-Firmen und Internet-Anbieter? Müssten sie stärker gegen Frauenhass im Netz vorgehen?
Auf jeden Fall. Da passiert viel zu wenig. Derzeit wird allgemein darüber diskutiert, wie wenig die verantwortlichen Netzwerkbetreiber gegen Frauenhass tun. Sie müssten die Beiträge wesentlich stärker kontrollieren und schneller reagieren. Es müsste Adressaten geben, an die man sich sofort wenden kann und die sofort auch etwas tun.
Es ist kaum zu ertragen, was für ein unglaublich negatives Frauenbild man in Foren antrifft und was für ein Hass dort auch sprachlich transportiert wird. Er dürfte meiner Meinung nach nicht ganz ohne strafrechtliche Konsequenzen bleiben. Da müsste wirklich mehr passieren.
Das Gespräch führte Beat Soltermann.