Es stinkt. Nicht faulig-süsslich wie frische Tierkadaver, eher herb riechen die sieben toten Giraffen. Sie liegen schon seit Wochen hier nebeneinander bei sengender Hitze im rötlichen Sand in der Region Wajir. Ihr Bild ging um die Welt. Ein Symbol der aktuellen Dürre in Ostafrika.
Die Dürre hat ungewöhnlich viele Wildtiere getötet. Doch wenige Schritte neben den Giraffen liegen auch rund drei Dutzend tote Kühe. Sie gehören den Hirten im Dorf nebenan. Hier in Eyrib leben rund 300 Familien. In den traditionellen runden somalischen Hütten, den sogenannten Herios. Hütten, die wieder abgebaut werden, sobald die Hirten weiterziehen, auf der Suche nach Weideland. Alle hier in Eyrib wurden hart getroffen von der Dürre, wie die Hirten im Schatten einer Akazie erzählen.
Einer von ihnen ist Ali Gedi. Von seinen 80 Kühen seien nur noch drei übrig. Innerhalb eines Monats seien sie alle verendet, erzählt der 40-Jährige, umringt von der Dorfgemeinschaft. Hundert Ziegen besitzt er noch. Drei davon stehen im Schatten eines Baumes. Ali Gedi ist soeben vom Markt zurückgekommen, er wollte die Ziegen verkaufen. Für rund 25 Franken pro Ziege. In normalen Zeiten würde er das Doppelte dafür kriegen. Doch niemand hat Geld für Ziegen derzeit, alle wollen ihr Vieh loswerden. Der Vater von zehn Kindern hat darum kein Geld mehr für Schulgebühren, das Essen ist knapp.
Die Dürre ist ein harter Schlag für Ali Gedi. Und so geht es den meisten hier in der Runde. Dennoch haben sie den Humor nicht verloren: «Schau dir mal Ali Gedi selbst an», sagt sein Sitznachbar. «Er war erst gerade noch 150 Kilogramm schwer und nun mit der Dürre...» Die Dorfgemeinschaft lacht schallend. Es ist klar, dass der grosse, hagere Ali Gedi natürlich nie 150 Kilogramm wog. Aber das Lachen scheint den Hirten gutzutun. Denn sie fühlen sich ziemlich alleingelassen mit ihrem Schicksal.
Keine Unterstützung in der Krise
Laut UNO bräuchten rund drei Millionen Menschen hier in der Gegend in Kenia Lebensmittelhilfe, eine halbe Million Kinder sind unterernährt. Die aktuelle Trockenheit kommt, nachdem die Gegend erst 2016/17 eine Dürre durchlebt hatte. Die Heuschreckenplage vor zwei Jahren und die Effekte der Covid-19-Pandemie kommen dazu. Aber von Hilfe ist hier weit und breit nichts zu sehen. Die Regierung ist weit weg.
Die Dürre hier oben interessiere in der Hauptstadt Nairobi, zwölf Stunden Autofahrt entfernt, kaum jemanden. Schon gar nicht die Politiker in einem Wahljahr, so die Meinung von Ali Gedi. «Die Politiker haben uns vergessen. Sie sind mit sich selbst beschäftigt», sagt der Hirte trocken. Diesen Eindruck erhält man auch in der Provinzhauptstadt Wajir. Obwohl Kenia bereits im September die Dürre zur «nationalen Katastrophe» erklärt hat.
Die Politiker haben uns vergessen. Sie sind mit sich selbst beschäftigt.
Im klimatisierten Büro sitzt der County Commissioner von Wajir. Jacob Narengo ist der höchste Beamte, der hier in der Region die Zentralregierung vertritt. Um die Fragen zur aktuellen Dürre zu beantworten, fordert er erst per Klingel den entsprechenden Ordner an.
Dann liest der Beamte fast vier Minuten am Stück aus dem Ordner vor, was die Regierung alles gegen die Auswirkungen der Dürre unternehme. Essenslieferungen, direkte Geldüberweisungen, Lastwagen mit Wasser würden in die Trockengebiete gefahren, Tiere gratis geimpft und geschlachtet, das Benzin für motorisierte Bohrlöcher sei subventioniert.
«Die Regierung macht viel», schliesst Narengo seinen Sermon. Davon, dass sich viele Menschen in der Region von der Regierung im Stich gelassen fühlen, will der Beamte nichts wissen. «Die Regierung hat die Lage unter Kontrolle und versorgt die Bevölkerung», unterstreicht der County Commissioner. Die Kritik prallt am Beamten im klimatisierten Büro ab, wie Fett von der Teflonpfanne. Kenia ist ein Land mittleren Einkommens, ein stabiles Land inmitten von Konflikten am Horn von Afrika. Kenia könnte sich um die Millionen von Dürregeplagten kümmern. Doch die Regierung tut es nicht.
Alles verloren
In Balatul-Amin, einem Dorf rund 30 Kilometer nördlich von Wajir, haben viele ehemalige Hirten Zuflucht gefunden. Vor wenigen Stunden ist auch Abdia Billow hier angekommen. Sie hat alles verloren. «Wir kommen wegen des Hungers. Meine Ziegen sind gestorben, wegen der Dürre fanden sie nichts zu essen.»
Wir konnten die Kinder nicht mehr ernähren. Dass wir unseren Lebensstil aufgeben müssen, tut mir im Herzen weh.
Die 55-Jährige ist ihr Leben lang mit ihren Tieren umhergezogen, hat sieben Kinder grossgezogen, zehn Grosskinder. Nun ist das alles vorbei. Die Familie muss ihr Leben als Hirten aufgeben. Eine Kultur, eine Lebensweise muss begraben werden. «Wir hatten keine andere Wahl. Wir konnten die Kinder nicht mehr ernähren. Dass wir unseren Lebensstil aufgeben müssen, tut mir im Herzen weh», so die Frau mit dem grünen Kopftuch.
Dasselbe Schicksal holt immer mehr Hirten in Kenia ein. Zwar wird der Norden Kenias schon lange regelmässig von Dürren heimgesucht, doch die Klimaerwärmung verstärkt das Phänomen. Afrika ist eine der Regionen, die am stärksten betroffen ist von der Klimakrise. Das, obwohl der Kontinent für nur gerade mal vier Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen verantwortlich ist.
Das Ende einer Lebensweise
Die Familie Abdille musste bereits vor zehn Jahren das Hirtenleben aufgeben. Seither lebt die Familie in Balatul-Amin, unterstützt von Verwandten. Für den 17-jährigen Moulid Abdille ist das kein Leben. «Wir können ja alle nichts anderes als Weidewirtschaft. Das Leben hier ist schwierig», sagt der Teenager. Auch wenn die Familie das Umherziehen mit den Tieren aufgeben musste, Moulid konnte nie zur Schule gehen. Er verkauft gesammeltes Feuerholz, um die Familie zu unterstützen.
Dass er keine Tiere besitzt, erfüllt ihn mit Scham: «Die Gleichalterigen in der Gegend haben ihre eigenen Tiere. Ich fühle mich als Versager.» Menschen wie Moulid wird es in Zukunft immer mehr geben. Die Klimaerwärmung verunmöglicht das Hirtenleben. Gleichzeitig unterstützt die kenianische Regierung die Menschen kaum darin, eine andere würdige Lebensweise zu finden.