Wegen Corona ist das Spitalpersonal seit Monaten am Anschlag. Wie viele von den Pflegefachkräften bisher selbst an Corona erkrankt sind, erfasst der Bund nicht.
Einen ersten Hinweis geben neue Zahlen der Suva, auch wenn hier nur ein kleiner Teil der Betriebe des Schweizer Gesundheitswesens versichert ist: In den vergangenen zehn Jahren erhielt die Versicherung im Schnitt 300 Meldungen über Berufskrankeitsfälle im Jahr. 2020 stiegen sie auf über 1300 an – eine Steigerung um mehr als das Vierfache. Die Suva geht davon aus, dass diese massive Steigerung auf die Corona-Pandemie zurückzuführen ist.
Ebenfalls nicht bekannt: Wie viele infizierte Pflegefachpersonen an Long Covid leiden. «Kassensturz» liegen mehrere Fälle vor, die zeigen: Manche Betroffene sind monatelang schwer krank. Erschwerend kommt hinzu, dass sie in dieser Situation vom Arbeitgeber nicht selten im Stich gelassen werden.
Mangelhafte Schutzmassnahmen
Ein Beispiel: Die erfahrene Pflegefachfrau M.L. arbeitete im Spital Interlaken auf der stationären Psychiatrie. Laut M.L. wurden während dieser Zeit weder Personal noch Patienten auf Corona getestet, es gab keine FFP2-Masken, sondern nur eine Hygienemaske pro Tag. Impfungen standen noch nicht zur Verfügung. Der Geschäftsbericht des Spitals legt offen, dass das Virus auch vor dem Personal nicht Halt machte:«Allein vom 31. Oktober bis zum 7. Dezember 2020 musste die krankheitsbedingte Abwesenheit von 67 Mitarbeitenden kompensiert werden.» Laut dem Spital wegen Corona, Krankheit und Erschöpfung.
Ich hatte unaushaltbare Schmerzen und bettelte nur noch, man solle mich betäuben.
Letzten Dezember traf es auch M.L. In ihrem Privatleben isolierte sie sich so gut wie möglich, die Vermutung liegt nahe, dass sie sich bei der Arbeit ansteckte. Covid-19 griff ihre Hirnnerven an. Und es wurde immer schlimmer – typisch für Long Covid. «Ich hatte unaushaltbare Schmerzen und bettelte nur noch, man solle mich betäuben», erinnert sich die Pflegefachfrau.
Gekündigt, damit Stelle neu besetzt werden kann
Ein halbes Jahr später – nach zwei Gesprächen mit den Vorgesetzten – folgte die Kündigung. Das Spital Interlaken schrieb ihr, man müsse ihre Stelle neu besetzen, um die Personalplanung dauerhaft sicherstellen zu können. Für M.L. ein Schlag ins Gesicht: «In einer solchen Situation bräuchte man Unterstützung; nicht die Kündigung.»
Diese Entlastung der Teammitglieder war Frau L. wichtig; die Vertragsauflösung hat Frau L. von diesem selbst auferlegten Druck befreit.
Das Spital Interlaken will vor der Kamera keine Stellung beziehen. Es schreibt «Kassensturz», Frau L. sei als «Mitarbeiterin und Mensch sehr geschätzt» worden. Und: «Mit der Vertragsauflösung konnte die Stelle nun neu besetzt werden; diese Entlastung der Teammitglieder war Frau L. wichtig; die Vertragsauflösung hat Frau L. von diesem selbst auferlegten Druck befreit.» Zudem habe man einen Wiedereinstieg angeboten.
M.L. sagt: «Ich weiss nicht, wie viele im Betrieb an Long Covid erkrankt sind. Vielleicht sind es Einzelne. Sollte man denen nicht speziellen Schutz zukommen lassen und sagen: Gerade jene, die sich vermutlich im Betrieb angesteckt haben, unterstützen wir?»
Heute geht es der Pflegefachfrau deutlich besser, und sie möchte für ihre Kolleginnen einstehen. Denn Kündigungen nach Krankheit gebe es gerade im Pflegeberuf viel zu oft. «Ich wünsche mir, dass die Arbeitgeber zu ihrem Personal stehen und ihnen Zeit geben, sich zu erholen. Und dass die Stellenpläne in dieser Situation mal beiseitegelegt werden.»
Brauchen Long-Covid-Betroffene mehr Schutz? Darüber spricht «Kassensturz» mit Pierre-André Wagner, Arbeitsrechts-Experte des Schweizer Berufsverband der Pflegefachfrauen und Pflegefachmänner SBK: