Ein Rumoren ging durch die römisch-katholische Kirche nach seinen Aussagen: Kein Geringerer als Münchens Erzbischof, Reinhard Kardinal Marx, hat sich für die Abschaffung des Pflichtzölibats ausgesprochen. In einem Interview mit der «Süddeutschen Zeitung» sagte Marx: «Bei manchen Priestern wäre es besser, sie wären verheiratet. Ich denke, so wie es jetzt ist, kann es nicht weitergehen.»
Bei manchen Priestern wäre es besser, sie wären verheiratet. Ich denke, so wie es jetzt ist, kann es nicht weitergehen.
Auf die Frage, ob er einen Zusammenhang zwischen dem Zölibat (Ehelosigkeit von Priestern) und sexuellem Kindsmissbrauch sehe, antwortete Marx, pauschal könne man das nicht sagen. «Aber diese Lebensform und dieses Männerbündische ziehen auch Leute an, die nicht geeignet sind, die sexuell unreif sind. Und Sexualität gehört eben zum Menschen dazu, das geht auch nie vorüber.»
Marx’ Verdikt ist so deutlich wie kritisch. Die Zeit sei offenbar reif für solch deutliche Worte, schätzt Judith Wipfler, Religionsredaktorin von SRF. Zumal Marx' konkrete Forderungen auch nicht neu seien.
Missbrauchsbericht schlägt hohe Wellen
Am Mittwoch begann in Frankfurt a.M. die dritte Vollversammlung des Synodalen Wegs, dem Reformprozess der katholischen Kirche in Deutschland. Es sollen Lehren aus der Missbrauchskrise gezogen werden. Erzbischof Marx mahnt als Konsequenz Woche Reformen an.
Der Missbrauchsbericht über die Vorgänge in Marx’ Bistum schlug weltweit hohe Wellen. Er offenbarte auch das persönliche Versagen des damaligen Erzbischofs Joseph Kardinal Ratzinger und späteren Papstes Benedikt XVI.
«Der Bericht beschädigte den Papst emeritus schwer und damit auch dessen ultrakonservative Position, gerade in Sexualfragen», sagt Wipfler. «Und hier macht Marx nun eine Kehrtwende.»
Die Kritik aus München hat durchaus Gewicht. Erzbischof Marx führt ein grosses und reiches Bistum innerhalb der katholischen Kirche. Zudem ist er im Weltzentrum der katholischen Kirche, im Kardinalsrat vertreten. In den Rat geholt wurde Marx von Papst Franziskus – dieser verwahrte sich auch vor einem Rücktritt von Marx aufgrund der Skandale und Krisen in dessen Bistum.
«Er hat also mitzureden, was den Kurs der katholischen Kirche weltweit angeht», sagt Religionsexpertin Wipfler: «Es lässt aufhorchen, wenn Marx gleichsam verbotene Themen wie Homosexualität anspricht und die Priester-Ehe fordert. Das sind Dinge, über die man zum Teil noch nicht mal reden durfte.»
Aus Lateinamerika wurden schon in der Vergangenheit Forderungen laut, bereits verheiratete Familienväter als Priester einzusetzen. Papst Franziskus setzte den Vorstoss verschiedener Bischofskonferenzen jedoch nicht um.
Kardinal Marx geht nun noch weiter: Denn die Möglichkeit der Priesterehe würde es auch jungen Menschen erlauben, Priester zu werden und – einmal in Amt und Würden – eine Familie zu gründen.
Kardinal Marx äusserte sich im Interview auch zur Homosexualität. «Es ist erstaunlich, wie progressiv er bei diesem Thema wirkt, obwohl er nicht seit jeher zu den progressiven Kräften gehörte», sagt Wipfler. Für sie wird hier auch eine andere Sichtweise auf Sexualität spürbar, die Papst Franziskus eingeläutet habe. «Die Sexualität wird nun öfters als Geschenk Gottes, als etwas Gutes und Schönes, bezeichnet.»
Abschliessend rechnet Wipfler aber nicht damit, dass Marx’ Sichtweise von heute auf morgen in der katholischen Kirche mehrheitsfähig wird. Der Kardinal selbst spricht davon, dass jegliche Entscheide Teil des synodalen Wegs, also der innerkirchlichen Beratungen, sein müssen. «Das alles dauert also sicher noch ein paar Jahre.»