In China breitet sich eine neue Form des Schweinegrippe-Virus aus. Der Erreger hat das Potenzial, eine weitere Pandemie auszulösen. Zu diesem Schluss kommen die chinesische Gesundheitsbehörde und die WHO. Panik sei derzeit jedoch nicht angebracht, sagt SRF-Wissenschaftsredaktorin Katharina Bochsler.
SRF News: Wie gefährlich ist das neue chinesische Schweinegrippe-Virus?
Katharina Bochsler: Das Influenza-Virus mit der Bezeichnung G4 breitet sich in den riesigen Schweineställen Chinas schon seit Jahren aus. Offenbar ist es in der Lage, von Schweinen auf den Menschen überzuspringen. Allerdings konnte bislang noch nicht nachgewiesen werden, dass es auch von Mensch zu Mensch übertragen wird. Nur so aber könnte es zu einer globalen Bedrohung für die Menschen werden.
Was weiss man sonst über das Virus G4?
G4 ist ein sogenanntes Mischvirus: Es hat Anteile von Vogelgrippe-Viren sowie solche des Schweinegrippe-Virus H1N1 – und sogar Anteile eines dritten Influenza-Virus. Dieser Cocktail ist für die Schweine gefährlich, weil das Virus in dieser Form für ihr Immunsystem neu ist.
Jeder zehnte getestete Schweinemast-Arbeiter in China ist mal mit dem Virus infiziert worden.
G4 verbreitet sich seit 2013 rasant in den chinesischen Schweineställen und verdrängt dabei praktisch alle anderen Grippeviren. Untersuchungen zeigen, dass rund jeder zehnte von den chinesischen Forschern getestete Arbeiter in diesen Schweineställen inzwischen Antikörper gegen G4 im Blut hat, also irgendwann einmal mit dem Virus infiziert wurde.
Ist die grosse Angst gerechtfertigt, dass sich G4 weltweit unter den Schweinen verbreiten könnte?
Das Risiko besteht durchaus. Allerdings grassieren immer wieder neue Viren unter Tieren in der Intensivzucht – auch in europäischen Ställen. So tauchte etwa 2017 in dänischen Schweinemästereien ein neues Virus auf, ebenfalls ein Mischvirus.
G4 vermehrt sich in menschlichen Lungenzellen ziemlich schnell.
Beim G4-Virus befürchten die chinesischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, dass es dereinst von Mensch zu Mensch übertragen werden könnte – was wirklich nicht gut wäre, denn Experimente zeigen, dass sich G4 in menschlichen Lungenzellen ziemlich schnell vermehrt. Zudem zeigten Versuche mit Frettchen – sie sind in der Grippeviren-Forschung die Stellvertreter für Menschen –, dass sie das Virus untereinander weitergeben. Das ist nicht unbedingt beruhigend.
Warum ist gerade China so stark von der G4-Epidemie unter Schweinen betroffen?
In China gibt es sehr grosse Schweineställe. Die Tiere sind zusammengepfercht. Es ist schmutzig. Das sind ideale Ansteckungsbedingungen. Die Verhältnisse in europäischen Ställen sind zwar etwas besser, doch auch hier kommt es zuweilen zu grossen Ansteckungsherden. Im Grunde müsste man deshalb die Tierhaltung generell überdenken, wie das auch Virologen fordern. Dazu wiederum aber müssten wir unser Fleisch-Konsumverhalten ändern, weil die Produktion von Fleisch unter besseren Bedingungen teurer ist.
Besteht mit dem G4-Virus jetzt die Gefahr einer weiteren weltweiten Pandemie?
Derzeit besteht kein Grund zur Panik – aber sicher zur Vorsicht. 2009 wurde die Schweinegrippe H1N1 sehr effektiv von Mensch zu Mensch übertragen, auch führte sie zu teils schweren Krankheitsverläufen. Das ist bei G4 noch nicht der Fall. Grundsätzlich aber hat nicht nur G4, sondern jedes neue Grippevirus das Potenzial, eine Pandemie auszulösen.
Das Gespräch führte Sibylle Wüthrich.