Das Zentrum Aletsch der Pro Natura bringt den Besuchern seit 40 Jahren die Natur rund um das Jungfrau-Aletschgebiet näher. Einer, der die Veränderungen in dem Gebiet hautnah miterlebt, ist der Biologe Laudo Albrecht.
Er leitet das Zentrum in der Villa Cassel am Rande des Aletschwaldes, am Tor zum Unesco-Weltkulturerbe Jungfrau-Aletsch. Es erfülle ihn «mit Wehmut», wenn er sehe, wie der Aletschgletscher angesichts der Klimaerwärmung allmählich schwindet, sagt er.
SRF News: Wie erleben Sie die Veränderungen im Aletschgebiet?
Laudo Albrecht: Ich denke dabei als erstes an den Grossen Aletschgletscher, der extrem zurückgegangen ist. Seit 1976 hat er mehr als 1300 Meter an Länge verloren. Das heisst für uns ganz praktisch, dass wir für Gletschertouren viel weiter gehen müssen, bis wir den Gletscher überhaupt erreichen. Ich arbeite seit vielen Jahren in dieser Region, und wenn man den Gletscher laufend beobachtet, sieht man immer wieder Veränderungen. Gerade bin ich nach vier Wochen erstmals wieder beim Gletscher gewesen – ich bin erstaunt, was dort in der Zwischenzeit alles passiert ist.
Sie sagen «erstaunt». Sind Sie auch erschüttert, traurig oder fasziniert? Wie könnte man Ihre Gefühlslage am genauesten beschreiben?
Ich arbeite seit 30 Jahren mit dem Aletschgletscher und habe ihn in dieser Zeit lieb gewonnen. Jetzt sehe ich, wie sich dieser Gletscher langsam aber sicher verabschiedet, wie er sich immer stärker zurückzieht. Dies erfüllt mich natürlich mit einer gewissen Wehmut.
Etwas ketzerisch gefragt: Was kümmert es uns, wenn der Aletschgletscher hier oben verschwindet und die Hänge runterkommen? Das Gebiet ist ja nur sehr dünn besiedelt...
Der Aletschgletscher ist – wie das Matterhorn für Zermatt – für das Tourismusgebiet Aletscharena ein wichtiger Anziehungspunkt, den jedes Jahr viele Leute sehen wollen. Es ist ja auch ein Ziel von Pro Natura, dass die Menschen hierher kommen, um diese eindrückliche Landschaft zu erleben. Andererseits ist der Rückgang der Gletscherzunge ja nicht die einzige Auswirkung der Klimaerwärmung. Diese wird noch andere, viel massivere Folgen haben. So wird das Schmelzwasser der Gletscher im Sommer fehlen, wenn sie dereinst ganz verschwunden sind. Das wird auch Auswirkungen im Tal unten haben, wie etwa ein Absinken des Grundwasserspiegels. Man sollte sich deshalb sehr gut überlegen, ob man nicht etwas unternehmen sollte, damit sich das Klima zumindest etwas langsamer erwärmt als das derzeit der Fall ist.
Die Klimaerwärmung wird noch weit massivere Folgen haben.
Der Gletscher zieht sich zurück, damit kommt es auch vermehrt zu Hangrutschen. Hat das auch Auswirkungen aufs Wanderweg-Netz in der Region?
Bis jetzt hatte es noch keine direkten Auswirkungen. Doch in einzelnen Wanderwegen, etwa jenem von Kalkofen in Richtung Riederfurka, sind im Frühling Risse sichtbar. Wie sich dies weiter entwickeln wird, ist im Moment nicht absehbar. Ich hoffe, dass wir dort nicht eines Tages Wanderwege sperren müssen. Wenn man also mit offenen Augen durch die Landschaft wandert, stellt man durchaus Veränderungen fest.
Das Pro-Natura-Zentrum hier ist jetzt 40 Jahre alt – wie wird es hier in nochmals 40 Jahren aussehen?
Der Gletscher wird noch einmal massiv abschmelzen. Meine Nachfolger werden dereinst vielleicht sogar von 2600 Metern sprechen, die der Gletscher von heute an bis dannzumal zurückgegangen sein wird. Der Natur wird das wahrscheinlich egal sein, sie wird sich anpassen und auch den Gletscherschwund überleben. Inwiefern der Mensch davon betroffen wird und welche Auswirkungen dies haben wird, wird erst die Zukunft zeigen.
Das Gespräch führte Max Akermann.