So viel Schnee hat Madrid seit Jahrzehnten nicht erlebt: Das Sturmtief «Filomenia» hat die spanische Hauptstadt in ein Winter-Wunderland verwandelt. «Ähnliches hatte es zuletzt im März 1971 und Februar 1984 gegeben», sagt ein Sprecher des Wetterdienstes AEMET. SRF-Redaktor Marco Schnurrenberger ist vor Ort und erzählt, wie die Madrilenen mit dem Jahrhundert-Schnee umgehen.
SRF News: In Madrid fiel bisher über einen halben Meter Neuschnee. Welche Auswirkungen hat das auf die spanische Hauptstadt?
Marco Schnurrenberger: Seit Freitagvormittag fallen ununterbrochen dicke Flocken vom Himmel. In der Hauptstadt und in zehn der 50 Provinzen des Landes gilt die höchste Alarmstufe. In Madrid liegen etwa 60 Zentimeter und der Jahrhundert-Schnee hat die Stadt komplett lahmgelegt. Da keine einzige Strasse in der Innenstadt geräumt ist, fährt kein Auto mehr, nicht einmal die Polizisten neben meinem Wohnort kommen mit ihren Fahrzeugen durch die Schneemassen.
Auch die S-Bahn stellte den Betrieb bis auf Weiteres ein und die Eisenbahngesellschaft Renfe strich viele Verbindungen. Zudem wurden mehrere Autobahnen und Landstrassen gesperrt und der Flughafen wurde vorübergehend geschlossen. An den Universitäten wurden Prüfungen abgesagt und Bibliotheken geschlossen, auch viele Betriebe haben dicht gemacht.
Was die Pandemie nie geschafft hat, hat ein Schneesturm erreicht; das alltägliche Leben herunterzufahren.
Der Schnee verändert das Leben in Madrid somit mehr als die Corona-Pandemie?
Paradox, aber ja. Bisher mussten etwa Restaurants oder Läden in Madrid trotz hoher Fallzahlen nicht wie anderswo in Spanien auf behördliche Anordnung hin schliessen. Erst ab Mitternacht gilt täglich eine Ausgangssperre. Man kann sagen: Das, was die Pandemie seit der ersten Welle nie geschafft hat, hat ein Schneesturm innert 24 Stunden erreicht; das alltägliche Leben in der Stadt herunterzufahren.
Die Behörden waren also nicht auf die Schneemassen vorbereitet?
Das ist wohl so. Zu Beginn der Schneefälle funktionierte der Verkehr noch einigermassen. Irgendwann scheint man aber aufgegeben zu haben. Heute habe ich auf den Strassen keinen einzigen Schneepflug gesehen. Die Wetterbüros sprachen seit Tagen von grossen Mengen Neuschnee. Doch die Behörden haben nichts unternommen – wohl auch, weil sie nicht für solche Witterungsverhältnisse gerüstet sind.
Wie reagieren die Madrilenen auf diesen Jahrhundert-Schnee?
Die Stimmung ist ausgelassen. Der Schnee zieht viele Einwohner auf die Strassen. Kalte Winter sind in Madrid zwar normal, doch es gibt viele Kinder, die nun wohl zum ersten Mal einen Schneemann bauen können. Ich sah auch viele Menschen mit Skis, Snowboards und Schneeschuhen mitten auf der sonst mit Autos verstopften Gran Via. Das ist surreal.
Es herrscht mit Sicherheit nicht nur Freude auf Madrids Strassen.
Viele Menschen wurden auch negativ vom Schnee überrascht. Auf den Autobahnringen blieben zahlreiche Autofahrer stecken und mussten die Nacht zum Teil frierend in ihren Fahrzeugen verbringen. Die Regierung spricht derzeit von vier Todesopfern und vielen Sachschäden. Praktisch in jeder Strasse der Hauptstadt sind Bäume unter den schweren Schneemassen eingestürzt.
Auch wirtschaftlich ist die Situation schwierig. Für die Unternehmen, weil die Versorgungsachse noch einige Tage lang blockiert bleiben wird. Für die Menschen, weil seit Ausbruch der Pandemie die Verarmung stark zugenommen hat. Viele Obdachlose harren in der Kälte aus, das macht mir Sorgen. Gemäss Wetterprognosen soll der starke Schneefall in Madrid erst gegen Mitternacht aufhören.
Das Gespräch führte Laura Sibold.