In Südfrankreich ist der Startschuss zum Zusammenbau des Kernfusionsreaktors Iter erfolgt. Im besten Fall soll er ab 2035 durch Kernfusion Strom liefern. 35 Länder sind an dem Milliardenprojekt, das 2010 in Angriff genommen wurde, beteiligt. Darunter sind die EU, die USA, Russland oder China.
SRF News: Ist der Iter tatsächlich eine wissenschaftliche und technologische Meisterleistung, wie Frankreichs Präsident Emmanuel Macron heute gesagt hat?
Anita Vonmont: Iter ist sicher eines der grössten und teuersten wissenschaftlichen Projekte überhaupt. Auch ist es ein kühnes Unterfangen, denn die Fusionstechnologie steckt noch in den Kinderschuhen.
Iter ist ein kühnes Unterfangen.
Das Ziel ist ehrgeizig: Man will den ersten Fusionsreaktor bauen, der mehr Energie liefert, als man in ihn hineinstecken muss. Doch wie sehr Iter tatsächlich eine Meisterleistung ist, wird sich erst noch zeigen.
Wie funktioniert die Fusionstechnologie?
Bei der Kernfusion passiert das Gleiche wie in der Sonne: Atomkerne verschmelzen und geben dadurch Energie frei. Im Iter sollen Wasserstoff-Atomkerne zu Helium verschmelzen. Die dabei entstehende Energie soll zur Stromerzeugung genutzt werden.
Die Kernfusion gelingt erst bei 150 Millionen Grad Celsius.
Das gelingt aber erst bei einer Temperatur von 150 Millionen Grad Celsius. Die Atomkerne befinden sich dabei in einer Plasmawolke, die durch immense Magnetfelder in der Schwebe gehalten wird. Das Ganze steht zudem unter immensem Druck.
Bei der Kernspaltung entstehen Radioaktivität und Atommüll, deren Lagerung sehr schwierig ist. Wie sieht es bei der Kernfusion aus?
Ganz ohne Radioaktivität geht es auch hier nicht. Das eine Wasserstoffatom im Plasma, Tritium, ist radioaktiv. Doch der Stoff kommt nur in ganz winzigen Mengen vor. Doch die Wände des Reaktors sowie gewisse Installationsteile können durchaus stärker radioaktiv verstrahlt werden. Diese Teile müssen nach Ende der Betriebszeit des Fusionsreaktors jahrzehntelang sicher gelagert werden.
Iter wird mehr als 20 Milliarden Euro kosten, in frühestens 15 Jahren soll der Reaktor Energie liefern. Kommt diese klimafreundliche Technik angesichts des Klimawandels nicht zu spät?
Das ist einer der grossen Kritikpunkte. Experten denken, dass Fusionsenergie frühestens ab 2050 in grösserer Menge CO2-freien Strom liefern kann. Doch um die Klimaziele zu erreichen, sollten wir den CO2-Ausstoss schon viel früher massiv reduzieren.
Kritiker sagen, man würde die Milliarden besser in alternative Energieerzeugung investieren.
Deshalb sagen Kritiker, man würde die 20 Milliarden Euro besser in alternative Energieerzeugung stecken wie Windkraftwerke und Solaranlagen.
Die Kosten sind seit Beginn des Fusionsprojekts explodiert, und sie könnten noch weiter steigen. Wieso bleiben trotzdem so viele Länder Iter treu?
Trotz aller Kosten, Verzögerungen und Unwägbarkeiten: Sollte Iter dereinst tatsächlich wie erhofft funktionieren, hätte man CO2-freie Energie ohne die grosse, langfristige radioaktive Belastung heutiger Atomkraftwerke. Die Fusionsenergie würde quasi für die ganze Welt reichen. Das hält die Leute wohl bei der Stange.
Iter ist ein Forschungsprojekt. Dabei wird viel gelernt.
Wichtig ist auch, dass Iter ein Forschungsprojekt ist. Dabei wird viel gelernt über extrem starke Magnetfelder und Forschungsapparaturen. So gibt es zum Beispiel auch an der ETH Lausanne das Swiss Plasma Center.
Das Gespräch führte Simone Hulliger.