In einem ehemaligen Bauernhaus am Wohlensee (BE) ist seit rund 50 Jahren eine Forschungsstation der Universität Bern eingerichtet, die das Verhalten von Tieren erforscht. Zum Beispiel wird dort das Verhalten von Fischen erforscht, die Spezialität des Biologen Michael Taborsky. Der emeritierte Professor hat kürzlich ein Buch darüber veröffentlicht – sein Lebenswerk über die Entwicklung von sozialem Verhalten.
Tropische Verhältnisse
Die Fischräume in der ehemaligen Scheune werden auf 26 Grad geheizt. Die Fische hier drinnen stammen nämlich aus den Tropen: aus dem Tanganjikasee, dem zweitgrössten See von Afrika, an den die Staaten Demokratische Republik Kongo, Tansania, Sambia und Burundi grenzen. Hier leben die Fische in dutzenden Aquarien, aneinandergereiht auf grossen Metallgestellen.
Station für Verhaltensforschung am Wohlensee
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Bild 1 von 7. Etwa 60 Aquarien stehen in diesem Raum auf Metallgestellen in der Station für Verhaltensforschung. Bildquelle: Elisa Häni/SRF.
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Bild 2 von 7. Darin schwimmen vor allem Buntbarsche aus dem Tanganjika-See. Bildquelle: Elisa Häni/SRF.
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Bild 3 von 7. In manchen Aquarien leben aber auch ihre Feinde: Diese Fische fressen die Eier der Buntbarsche. Bildquelle: Elisa Häni/SRF.
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Bild 4 von 7. Auch er ist ein Fressfeind. Direkt zu den Buntbarschen darf er hier jedoch nicht – dazwischen bleibt jeweils eine Glasscheibe. Bildquelle: Elisa Häni/SRF.
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Bild 5 von 7. Bei einem Angriff verteidigen sich die Fische gemeinsam in der Gruppe. Hier beispielsweise greifen die Buntbarsche den Feind an, der für sie eine grosse Gefahr darstellt. Vor allem für die kleineren Fische, wie jener oben rechts. Bildquelle: zvg/Universität Bern.
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Bild 6 von 7. Bei den Versuchen hat sich gezeigt: Die Fische helfen einander, weil sich das für sie lohnt. Bildquelle: Elisa Häni/SRF.
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Bild 7 von 7. Die Forschungsstation ist auf diesem Gelände am Wohlensee eingerichtet. Hier verbrachte der Berner Forscher Albrecht von Haller vor rund 300 Jahren seine Kindheit. Bildquelle: Elisa Häni/SRF.
Interessant an diesen Buntbarschen sei ihre Zusammenarbeit beim Beschützen und Aufziehen des Nachwuchses, erklärt der Biologe Michael Taborsky. Dabei würden auch Fische mithelfen, die nicht die Eltern sind, was in der Tierwelt eher unüblich ist: Normalerweise schauen sie für sich selbst und den eigenen Nachwuchs. Nur wer überlebt und sich fortpflanzt, kann seine Gene weitergeben.
Hilfe lohnt sich
Die Fische würden einander helfen, weil sie als Gegenleistung den Schutz der Gruppe erhalten, sagt Taborsky: «Wenn ich als Buntbarsch meine Gruppe gegen einen grossen Fressfeind verteidige, riskiere ich mein Leben. Dafür darf ich mich in der Gruppe verstecken. So erhöhe ich meine eigene Überlebenschance und damit auch die Chance auf Reproduktion.» In der Regel überlebe ein Buntbarsch eine Verteidigungsaktion.
Wenn Fische in einer Gruppe nicht wirklich mithelfen, werden sie von anderen gebissen oder gar verstossen. Alleine können sie nicht lange überleben.
Um herauszufinden, wie sich die Buntbarsche bei Gefahr in der Gruppe verhalten, werden sie mit einem ihrer natürlichen Fressfeinde konfrontiert. Der Räuber wird jedoch nicht in dasselbe Aquarium gelegt: «Wir wollen keine Situationen, in denen der Räuber die Beutetiere tatsächlich fangen kann», sagt Taborsky. Das sei aus tierschutzrechtlichen Gründen ausgeschlossen, weil die kleineren Fische im Aquarium nicht fliehen können. Der Räuber wird den Buntbarschen darum hinter einer Glasscheibe präsentiert – oder sogar per Video. «Die Tiere verstehen, was das bedeutet, und reagieren.»
Die Fische schützen also gemeinsam die frisch geschlüpften Jungfische und verteidigen die Eier. In einer Gruppe von rund 30 Fischen haben dabei alle ihre Rolle, mit einem erstaunlich komplexen Verhaltensrepertoire: «Mit ungefähr 35 verschiedenen Verhaltensweisen teilen sie einander mit, was sie gerade machen und ob dies im Interesse der anderen ist.»
Es geht darum, mehr zu erhalten, als man gibt.
Bei den Fischen aus dem Tanganjikasee sei es ein Geben und Nehmen – wie bei Menschen auch. «Mit dem Verhandeln geht es darum, am Ende mehr zu bekommen als zu geben.» Das Wunderbare an kooperativem Verhalten sei, dass man gemeinsam mehr herausholen könne, als wenn alle für sich alleine schauen würden, sagt Taborsky.
Ratten helfen auch nicht verwandten Tieren
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Bild 1 von 5. Geforscht wurde in der Station am Wohlensee eine Zeitlang auch mit Ratten. Hier zieht die vordere Ratte ein Stäbchen zum Käfig heran. Damit erhält die zweite Ratte Futter. Bildquelle: zvg/Universität Bern.
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Bild 2 von 5. Selbst erhält die Ratte also keine Belohnung. Sie hilft der anderen, weil sich diese gemäss den Experimenten daran erinnern kann, von wem sie Futter erhalten hat. Wenn sie sich dereinst revanchiert, bekommt die erste Ratte etwas zurück. Bildquelle: zvg/Universität Bern.
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Bild 3 von 5. Gegenüber hungrigen Artgenossen sind Ratten grosszügiger, weil sie selbst vor dem Verhungern gerettet werden wollen. Neben den Experimenten erhalten die Ratten Abwechslung unter anderem mit einer Hängematte. Bildquelle: zvg/Universität Bern.
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Bild 4 von 5. Der Biologe Michael Taborsky forscht seit dem Jahr 2000 am Institut für Ökologie und Evolution der Universität Bern. Seit Sommer 2020 ist er als Professor emeritiert. Bildquelle: Elisa Häni/SRF.
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Bild 5 von 5. Neben den Aquarien in den Innenräumen gibt es einen Aussenteich für Fischarten, die mit dem hiesigen Klima klarkommen. Derzeit ist er leer. Bildquelle: Elisa Häni/SRF.
In der ethologischen Forschungsstation der Universität Bern konnte Michael Taborsky aufzeigen, dass das Zusammenarbeiten – ohne das die menschliche Gesellschaft nicht funktionierte – keine Erfindung der menschlichen Kultur ist, sondern biologisch angelegt.
Was die Menschen daraus machen, ist ein anderes Thema. Aber: «Im Prinzip ist der gegenseitige Austausch bei den Menschen und den Buntbarschen genau derselbe. Die genetische Veranlagung bringen wir also mit.»