Odyseuss, Jeanne d'Arc, Sophie Scholl, Nelson Mandela und Martin Luther King: Das sind Heldinnen und Helden der Weltgeschichte. Heute brauchen viele das Wort Heldin, wenn von jungen Frauen wie der Flüchtlingshelferin Carola Rackete oder der Klimaaktivistin Greta Thunberg die Rede ist. Archäologe Ralf von den Hoff arbeitet an einem Forschungsprojekt zum Thema Heldinnen und Helden. Er sagt, die Gesellschaft mache sie dazu.
SRF News: Was ist die Definition eines Helden oder einer Heldin?
Ralf von den Hoff: Damit haben wir uns recht schwergetan am Anfang, weil wir nicht wollten, dass man das so eindeutig über alle Epochen festlegt. Denn was damit gemeint ist, ändert sich ziemlich stark. Wir sind der Meinung: Helden werden gemacht, es gibt sie nicht per se. Das heisst, jemand wird zum Helden oder zur Heldin, wenn er oder sie so benannt wird. Dies, weil eine besondere Tat vollbracht worden ist. Diese Tat kann auch eine Haltung sein.
Aber jemand egoistisches liefert doch keinen Stoff für Heldentum?
Theoretisch wäre eine Kultur vorstellbar, in der Egoismus so wichtig ist, dass ein egoistischer Held auftritt. Das ist heute nicht der Fall. Das war auch in der Zeit, die wir untersuchten – von der griechischen Antike bis heute – ganz selten der Fall. Dass man sich selbst dabei aufgibt, ist aber nicht zwingend nötig.
Einzelne Personen können niemanden zum Helden machen, der von anderen anerkannt wird.
In der griechischen Antike beispielsweise wurden auch Personen als Helden verehrt, denen man eine besondere Beziehung zu den Göttern zuschrieb. Die Frauen, die momentan viel von sich reden machen – Greta Thunberg und Carola Rackete – sind Heldinnen in dieser Definition. Sie beschäftigen sich mit Dingen, die über ihr eigenes Ich hinausgehen, sie leisten etwas für die Gemeinschaft. Und diese Gemeinschaft nennt solche Personen Heldinnen.
Kann man sich aussuchen, wen man zum Helden machen will?
Wir haben in unserer Forschungsarbeit festgestellt, dass der Begriff auch an Stellen benutzt wird, wo man ihn gar nicht erwarten würde. Etwa immer dann, wenn man starke Aufmerksamkeit auf jemanden oder etwas lenken will. Das ist nichts Zeitloses, dessen Definition feststeht, sondern sagt uns mehr über die Gesellschaften aus, die dies tun. Einzelne Personen können niemanden zum Helden machen, der von anderen anerkannt wird.
Es ist oft vom postheroischen Zeitalter die Rede. Stimmt das?
Der Begriff ist in dem Sinne richtig, dass die heroischen Vorstellungen, die das 19. Jahrhundert der Nationalstaaten und die Kriegszeit in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts geprägt haben, nicht mehr so entscheidend sind. Man opfert nicht mehr ganze Generationen und seine Kinder für das Vaterland.
Heroische Figuren und Helden sind weiterhin präsent, man wird sie nicht los.
Diese Art von Heldentum ist überwunden. Postheroisch ist aber nicht so zu verstehen, dass wir keine Helden und Heldinnen mehr hätten. Heroische Figuren und Helden sind weiterhin präsent, man wird sie nicht los.
Hat es in unserer individualisierten Welt noch Platz für Helden?
Ja, es gibt sie weiterhin. Das Individuelle ist aber ganz wichtig für das Heroische. Denn im Vergleich zu anderen Dingen, mit denen man sich emotional identifizieren kann, sind Heldinnen und Helden immer Menschen, und damit jedem anderen einzelnen Menschen auch ähnlich. Die starke Individualisierung führt eher dazu, dass einzelne Heldenfiguren wichtiger werden, weil sie konkrete Identifikation bieten. Rackete und Thunberg, aber auch Helden der Antike, sind menschliche Personen, die selbst viel Menschliches durchmachten, und sich als Identifikationsfiguren anbieten.
Das Gespräch führte Nicoletta Cimmino.