Hierzulande gab es laut Anti-Doping Schweiz im letzten Jahr rund ein Viertel weniger Doping-Kontrollen. Von teilweise 95 Prozent weniger ausgewerteten Dopingproben spricht das Kölner Dopinglabor. Zweifellos habe die Pandemie das Anti-Doping-System beeinflusst, räumt die Welt-Anti-Doping-Agentur ein. Zu diesem Schluss kommt auch der renommierte Sportjournalist Hajo Seppelt.
SRF News: Warum gab es weniger Dopingkontrollen während der Corona-Pandemie?
Hajo Seppelt: Weil die Doping-Kontrolleure schlicht nicht reisen konnten. Laut der Welt-Anti-Doping-Agentur fielen 2020 bis auf die Monate Januar und Februar die Kontrollen deutlich geringer aus als im Jahr zuvor. Ganz krass war es im März/April letzten Jahres, wenn üblicherweise 20'000 bis 25'000 Proben weltweit anfallen. Diesmal waren es im April 2020 gerade einmal 578. Es gab also in den langjährigen Vorbereitungen Phasen ohne Kontrollen.
Wie konnten Athletinnen und Athleten die Tatsache nutzen, dass gewisse Monate eine «Blackbox» sind?
Wenn ein Kontrolleur nicht vorbeikommt, ist das Risiko, erwischt zu werden, gleich null. Ich bin relativ sicher, dass Leute, die betrügen wollen, solche Schlupflöcher auch nutzen würden. Sehr auffällig ist auch, dass es 2021 in der Leichtathletik etliche Weltrekorde gegeben hat, die frühere Werte geradezu pulverisierten. Da macht man sich schon Gedanken über die Gründe, auch wenn es keine konkreten Belege für Doping gab.
Sehr auffällig ist auch, dass es 2021 in der Leichtathletik etliche Weltrekorde gegeben hat, die frühere Werte geradezu pulverisierten.
Dennoch sind im Vorfeld Fälle aufgeflogen, wie heute der Schweizer Hürdenläufer Kariem Hussein. Funktionieren die Kontrollen jetzt doch?
Jetzt sind wir ja auch im Jahr 2021. Es gibt ein recht detailliertes Kontrollprogramm der Pre Olympics, durchgeführt von der unabhängigen International Testing Agency ITA. Dass der eine oder die andere auch ins Netz geht, verwundert nicht. Es geht ja auch nicht nur um die Anzahl Kontrollen, sondern was genau gesucht wird. Es gibt immer noch eine Reihe von Dopingmitteln und Methoden, die man nicht nachweisen kann. Die internationalen Verbände und das IOC, welche die ITA-Kontrollen mitfinanzieren, geben auch nicht immer genügend Geld aus, um alle möglichen Analysen durchzuführen.
Wer betrügen möchte, muss also ein Mittel nehmen, das aktuell nicht untersucht wird, oder er nahm es in der Phase der lückenhaften Kontrollen?
Das ist möglich. Es gibt Substanzen, die im Labor nicht nachweisbar sind. Es gibt aber auch die so genannten Mini-Dosierungen. Sie werden über einen längeren Zeitraum eingenommen und fallen dann etwa bei einem gleichbleibenden Steroid-Profil des Blutes nicht sonderlich auf.
Der prozentuale Anteil der positiv Getesteten in den vergangenen Jahren bewegt sich immer im Verhältnis zur durchgeführten Anzahl an Doping-Kontrollen – bei vielleicht 0,5 oder einem Prozent. Anonyme Befragungen bei Top-Athleten zeigen aber Werte zwischen sieben und fast 50 Prozent auf. Das deutet auf eine riesige Grauzone mit Leuten hin, die nicht erwischt werden.
Wie sauber werden die Olympischen Spiele in Tokio sein?
Erfahrungsgemäss kommen bei Olympischen Spielen nicht so viele positive Tests heraus. Es wäre ja auch ein bisschen dämlich, an den Spielen oder kurz vorher zu dopen. Doch im Training kann natürlich manipuliert werden, was wohl aufgrund der Kontrolllücken auch passiert ist. Insofern muss ich davon ausgehen, dass Tokyo 2020 in gewissem Sinne durch Doping geprägte Spiele sein werden.
Das Gespräch führte Beat Soltermann.