Lena hat ihren Vater vor vier Monaten verloren. Er litt an einer besonders aggressiven Form der Demenz – der Frontotemporalen Demenz. Die Krankheit zeigt sich bei dieser Form nicht durch leichte Vergesslichkeit, sondern durch den Verlust der eigenen Persönlichkeit. Für die 19-jährige Lena war dies nur schwer zu verkraften. «Er war plötzlich ein ganz anderer Mensch und für nichts mehr zu gebrauchen.»
Die neue Situation brachte auch neue Verantwortungen. Lena musste fortan zu Hause bei der Pflege und Betreuung mithelfen. Kochen, den Vater auf Spaziergängen begleiten, bis zum Anziehen und beim Essen helfen. Letzteres gab Lena aber auch ein gutes Gefühl. «Das waren schöne Momente, weil man sich so sehr nahe war.»
So wie Lena geht es in der Schweiz über 51'000 Kinder und Jugendlichen zwischen 9 und 16 Jahren, wie eine Studie der Careum Hochschule Gesundheit in Zürich zeigt. Sie pflegen und betreuen den Vater, die Mutter, Geschwister oder einen Grosselternteil. Diese Pflegerolle kann auch positive Auswirkungen haben, wie ein gesteigertes Selbstwertgefühl oder eine enge Beziehung zu den Eltern.
Lilly, deren Vater vor wenigen Monaten auch die Diagnose Frontotemporale Demenz bekam, sei viel toleranter geworden. Gerade mit Situationen, in denen ihr Vater aufgrund seiner Erkrankung Leute verärgert oder beschämt, könne die 22-Jährige heute gut umgehen. «Mein Vater ist in diesen Momenten viel wichtiger, weil ich weiss, dass ich ihn nicht mehr so lange habe.» Denn Menschen mit dieser Form der Demenz haben eine verkürzte Lebenserwartung. Wie für Lena ist es für Lilly selbstverständlich, dass sie zu Hause mithilft: «Ich sehe es schon als meine Aufgabe, dass ich für ihn da bin.»
Diese Aufgabe könne «Young Carers» aber auch überfordern: «Es ist immer wieder Thema, dass es Leistungseinbrüche gibt in der Schule und der Lehre», sagt die Pflegeexpertin Cristina de Biasio. Konzentrationsschwierigkeiten, häufiges Zuspätkommen und Fehlzeiten können sich negativ auf die Noten auswirken.
Damit sich «Young Carers» untereinander austauschen können, hat Christina de Biasio gemeinsam mit Betroffenen die Selbsthilfegruppe «young dementia carers» ins Leben gerufen. Die Gruppe besteht zurzeit nur aus jungen Frauen, was die Situation in der Schweiz repräsentiert. Verschiedene Studien zeigen, dass die Mehrheit der «Young Carers» weiblich ist.
In unregelmässigen Abständen treffen sich Lena und Lilly mit anderen, um sich über ihre Sorgen und Bedürfnisse auszutauschen. «Man muss sich nicht gross erklären, denn ein Grundverständnis ist schon da», sagt Naemi, eine der Teilnehmerinnen. Auf die Frage, was sie sich von ihren Mitmenschen wünschen, sind sich alle einig: weniger Hemmung vor dem Thema. «Ich fand es schön, wenn mich jemand ganz beiläufig gefragt hat, wie es zu Hause läuft», führt Lena aus.
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