Frauen arbeiten künftig bis 65, das ist nach dieser Abstimmung klar. Auch wenn das Ergebnis knapp ist: Thierry Burkart, Präsident der FDP, ist erleichtert. Es sei die erste AHV-Reform seit einem Vierteljahrhundert. «Wir haben jetzt quasi wieder den Status wie bei der Einführung der AHV 1948, Frauen und Männer haben das gleiche Rentenalter.» Gleichzeitig stehe die jetzige Reform auch für eine Flexibilisierung der ersten Säule. Wegen des Geschlechtergrabens macht Burkart sich keine Sorgen.
SP-Co-Präsidentin Mattea Meyer hingegen schon. Obwohl es mehr Frauen als Männer gibt im Land, hat ihre Partei, zusammen mit den Grünen und den Gewerkschaften, die Abstimmung verloren. Dies sei schmerzhaft. «Da hat man als Frau ein Leben lang gekrampft, und muss nun noch ein Jahr länger arbeiten.» Es müsse jetzt unmittelbar und wie versprochen eine Verbesserung geben in der zweiten Säule – einen Zuschlag, den auch die bekommen, die jetzt länger arbeiten müssen.
Zweite Säule im Ständerat
Diese Verbesserungen liegen in Form einer BVG-Reform derzeit beim Ständerat. Das Problem bei der zweiten Säule seien die tiefen Löhne und Teilzeitpensen, sagt SVP-Präsident Marco Chiesa. Von denen sind die Frauen am meisten betroffen. Sie erhalten heute im Schnitt 37 Prozent weniger Rente aus der Pensionskasse als Männer. Eine ausgewogene Lösung sei nötig: «Sonst scheitert die Vorlage am Referendum.»
Eine ausgewogene Lösung ist nötig. Sonst scheitert die Vorlage am Referendum.
Das befürchtet auch Burkart. Die Version des Nationalrats, die auf dem Tisch liege, müsse nachjustiert werden. «Den Koordinationsabzug zu halbieren, scheint mir sinnvoll. Jene mit tiefem Kapital müssen mehr erhalten.» Auch Pfister hält den jetzigen Vorschlag für nicht mehrheitsfähig und hofft auf Nachbesserungen. Und er fügt an: «Ich wäre froh, wenn die SP dann eine gute Vorlage nicht wieder versenkt.»
Meyer macht aber klar: «Es liegt ein guter Kompromiss auf dem Tisch zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Man muss von der Rente leben können, egal ob man Angehörige gepflegt oder ein Leben lang in schlecht bezahlten Jobs gearbeitet hat.» Burkart, der bereits ein Nein der SP befürchtet, bittet sie, bei der BVG-Reform mitzumachen. «Heute haben wir die AHV-Vorlage gegen die SP durchgebracht», betont er.
Wichtigste Vorlage der Legislatur
Das Ja zur Rentenaltererhöhung sei nicht zu überschätzen, sagt Mitte-Präsident Gerhard Pfister. «Das ist die wichtigste Vorlage der Legislatur, endlich ist eine Strukturrevision gelungen.» Das sei aber nicht einfach gewesen, deshalb dieses knappe Resultat. Es sei gelungen, da die Vorlage ausgewogen gewesen sei – vor allem für tiefe Einkommen. «Sonst hätte die Vorlage Schiffbruch erlitten», ist er sicher.
Ich wäre froh, wenn die SP dann eine gute Vorlage nicht wieder versenkt.
SVP-Präsident Marco Chiesa hat eine Erklärung dafür, wieso das Tessin dagegen gestimmt hat: «Weil unser Arbeitsmarkt unter Druck ist. Alles, was damit direkt und indirekt zu tun hat, hat es schwer, Erfolg zu haben.» Auch die Romandie, wo der Nein-Anteil ebenfalls höher war, sei bei Reformen zurückhaltend. «Aber heute ist ein wichtiger Schritt gelungen. Die AHV ist zumindest für die nächsten Jahre gesichert.»
An der AHV-Front hat die SP verloren. Die Verrechnungssteuervorlage hat sie hingegen gegen Bundesrat und Bürgerliche versenkt. «Das macht die Niederlage nicht wett», sagt Meyer, aber es sei eine klare Absage an eine bürgerliche Steuerpolitik, «die den Grossen immer noch mehr geben will, sie entlasten will auf Kosten der Bevölkerung». Jetzt seien die Menschen am Zug, «nicht die Konzerne und Oligarchen», so die Linke.
Jetzt sind die Menschen am Zug, nicht die Konzerne und Oligarchen.
«Das ist nicht wahr», wehrt sich Chiesa. «Wir sind in einem globalen Wettbewerb.» Die Schweiz verfüge nicht über die besten Rahmenbedingungen. «Mit der Vorlage hätten wir bessere Bedingungen gehabt, mehr Arbeitsplätze und mehr Einnahmen», ist er sicher. Meyer von der SP hält dieses Narrativ nach wie vor für ein Märchen.
Pfister sieht das Problem, wieso es Steuervorlagen so schwer haben, beim kleinen Kreis der Betroffenen. Steuerlich müssten die Familien und der Mittelstand entlastet werden. «Die Unternehmenssteuerreform war gekoppelt an die AHV, so wurde sie mehrheitsfähig.» Er appelliert an die Wirtschaft: «Wenn sie einen Vorschlag durchbringen wollen, muss er ausgewogen sein, das hat heute nicht geklappt.»
Burkart, der sich für die Abschaffung der Verrechnungssteuer auf Obligationen eingesetzt hat, muss das Nein hinnehmen. Zudem mache ihm etwas Sorgen: «Früher hat man versucht, Gräben nach Abstimmungen zuzuschütten, heute ist es immer Frauen gegen Männer, Unternehmen gegen Gesellschaft, Arme gegen Reiche. (...) Wir müssen wieder dazu übergehen, nicht immer nur das Trennende zu betonen, sondern auch das Verbindende.» Heute sei es nicht um Oligarchen gegangen, sondern um Anleihen und wie sie herausgegeben werden.