Sabina Hafner war über zehn Jahre lang als Bobsportlerin und Skeletonpilotin aktiv und erfolgreich. Um ihre Fans zu einem Besuch an der Weltmeisterschaft im Februar 2007 in St. Moritz zu animieren, platzierte sie zuvor auf ihrer Homepage eine virtuelle Einladung. Darauf ein etwa drei mal sechs Zentimeter kleines Foto, das sie in einem Zweierbob in voller Fahrt zeigt. Gemacht wurde das Foto 2006 an den Schweizermeisterschaften von einem Fotografen der renommierten Nachrichtenagentur Reuters.
Über 14 Jahre später: Bild sofort löschen
Mit den Jahren verschwand die Einladung samt Foto in den virtuellen Tiefen der Website. Im März 2021 erhält Sabina Hafner dann ein beunruhigendes Schreiben der Firma «PicRights». Es bestehe ein «Verdacht auf Nutzung des Bildes / der Bilder von Reuters News & Media Inc. ohne Lizenz». Falls sie tatsächlich keine Lizenz habe, seien die Aufnahmen umgehend zu löschen und überdies sei ein Betrag von 585 Franken zu bezahlen.
Warum so viel und erst jetzt?
Die ehemalige Spitzenathletin prüft zuerst, ob es sich bei der Nachricht nicht etwa um Spam oder einen Phishing-Versuch handelt. Sie stellt aber fest: Das Schreiben ist echt. «Ich habe das Bild sofort gelöscht und vorsichtshalber gleich noch alle anderen Bilder, bei denen ich nicht hundertprozentig sicher war, dass sie von mir sind», erzählt sie im SRF-Konsumentenmagazin «Espresso».
Es sei ihr bewusst, dass es leichtsinnig gewesen sei, ein Bild eines Profi-Fotografen ohne Genehmigung auf ihre Seite zu stellen, und sie wolle Reuters auch keine Vorwürfe machen für die Durchsetzung des Urheberrechts. Trotzdem fragt sie sich, warum die Abmahnung erst nach so vielen Jahren kommt. Auch die rund 600 Franken scheinen ihr eine überrissene Forderung zu sein.
Agentur zieht Forderung zurück
«Espresso» fragt bei Reuters an – und erhält nur indirekt eine Antwort. Die Agentur meldet sich nämlich per Mail bei Sabina Hafner und nimmt «Espresso» ins CC. Reuters führt aus, dass man die Firma «PicRights» damit beauftragt habe, das Netz nach solchen unautorisiert verwendeten Fotos abzusuchen. Man habe aber ihren Fall nochmals geprüft und werde die Forderung aus Kulanz zurückziehen.
«Espresso» hakt nach, erhält aber keine weiteren Antworten. Auch die bekannte Schweizer Fotoagentur Keystone-SDA, die ebenfalls solche Abmahnungen verschickt, gibt keine Antwort auf die von «Espresso» gestellten Fragen.
Auch Schnappschüsse sind jetzt geschützt
Auskunftsfreudiger ist der Anwalt und Urheberrechts-Spezialist Simon Schlauri. Er rechnet damit, dass die Zahl solcher Abmahnungen steigen wird. Dies wegen einer Änderung im Urheberrecht, die seit April 2020 gilt. Bis zu jenem Zeitpunkt waren im Internet nur jene Fotos, Texte und andere kreative Inhalte geschützt, die einen «individuellen Charakter» aufwiesen. Bei Fotos bedeutete das, es musste mehr sein als ein blosser Schnappschuss. Solche Bilder durfte man nur mit einer Genehmigung und allenfalls auch nur gegen ein Entgelt verwenden.
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Dieses Individualitäts-Kriterium sei nun im Zuge der Urheberrechts-Revision aufgeweicht worden, sagt Schlauri. Das habe den Nachteil, dass nun unter anderem auch Schnappschüsse, die bislang legal verwendet werden durften, geschützt seien. Die Software, um sie aufzuspüren, sei besser geworden. Gewisse Anwaltskanzleien in Deutschland und vermehrt auch in der Schweiz und auch Firmen wie «PicRights» haben das zu ihrem Geschäft gemacht.
Nachtrag, 13.4.21, 11 Uhr:
Rückwirkend abmahnen geht nicht
Aber: Einstmals nicht geschützte Bilder, die vor der Gesetzesrevision verwendet wurden, dürfen weiterverwendet werden. So sieht es das Gesetz in einer Übergangsbestimmung vor. Die Bobfahrerin hätte demnach theoretisch das Bild auch auf ihrer Seite lassen können. Hätte sie es aber nach Inkrafttreten des revidierten Urheberrechts, also nach dem 1. April 2020, auf ihre Homepage gestellt, wäre es illegal gewesen.