Am 18. April auf den Tag genau vor 100 Jahren ist zum ersten Mal Wasser durch den neuen Rhein geflossen. Die Verhandlungen und Vorarbeiten waren beschwerlich und haben Jahre gedauert. Die Begradigung des Alpenrheins von Sargans bis zum Bodensee hat dann aber den langersehnten Schutz vor Hochwasser gebracht und ist für die Rheintaler Bevölkerung noch heute von grosser Bedeutung.
Es ist auch heute noch unheimlich, wenn man sieht, was da für Wassermassen daherkommen.
Das Schreckgespenst verheerender Überflutungen des Talbodens gehörte mit dem Rheindurchstich der Vergangenheit an. «Es ist auch heute noch unheimlich, wenn man bei einem Hochwasser auf der Schrägseilbrücke stehend sieht, was da für Wassermassen daherkommen», sagt der Diepoldsauer Gemeindepräsident Roland Wälter gegenüber Radio SRF. Seine Gemeinde wurde mit dem Durchstich zur «Rheininsel».
Der neue Rheinkanal hat die Flussschlaufe Diepoldsau von der Schweiz abgetrennt. So ist im April 1923 der Alte Rhein entstanden, der heute als Natur- und Naherholungsgebiet genutzt wird. Mit dem neuen Hochwasserschutz siedelten sich zunehmend Menschen im Rheintal an. Es wurden neue Betriebe gegründet und mit ihnen kam der wirtschaftliche Aufschwung und der Wohlstand ins St. Galler Rheintal.
Die Geschichte
Der Historiker und ehemalige Rheinbauleiter Martin Weiss erzählt von den Ereignissen damals am 18. April 1923 bei der Flutung und Einweihung des neuen Rheinkanals.
Die Sprengung in Anwesenheit von viel Prominenz sei missglückt. Damit das Wasser doch seinen Weg gefunden habe, hätten Arbeiter mit Pickel und Schaufel zünftig nachhelfen müssen.
Ökologisch ist der Durchstich für den Rhein nahezu eine Katastrophe gewesen.
Der Weg bis zur Eröffnung des Diepoldsauer Rheindurchstichs war lang und aufwendig. Bis tatsächlich die Bagger aufgefahren sind, zogen viele Jahre ins Land. Dass mit dem Alpenrhein etwas passieren musste, waren sich Österreich-Ungarn und die junge Schweiz einig. Nur wer gibt für die Kanäle das Land ab und wer übernimmt welche Kosten? Die Verhandlungen seien zäh gewesen, so Martin Weiss.
Am Schluss aber habe wohl die Natur den Zeitplan vorgegeben. Zwei gravierende Überschwemmungen hätten die Politik vorwärtsgetrieben. 1892 kam dann der Staatsvertrag mit dem Diepoldsauer Durchstich als wichtiger Bestandteil. Der Bau sei eine Herkulesaufgabe gewesen: Kilometer lange Dämme, neue Flussbetten, Überflutungsstreifen und alles ohne die heutige Technik. Mit Verzögerung wegen des Ersten Weltkriegs wurde der Durchstich schliesslich 1923 fertig gebaut.
Der Rheindurchstich wurde für die Region wohl zum wirtschaftlichen Erfolg. Vergessen hätten die Menschen vor hundert Jahren aber die Ökologie, sagt der Historiker. Der Fischbestand sei stark zurückgegangen, der Auenwald und die ganze Flussökologie sei grösstenteils verschwunden: «Ökologisch ist der Durchstich für den Rhein nahezu eine Katastrophe gewesen.»