Die «Republik» hat den Journalismus nicht gerettet – aber sie bereichert ihn seit nunmehr 100 Tagen. Das zumindest finden Leserinnen und Leser an einem Anlass des Online-Magazins in Bern. «Mir gefällt sie sehr gut», sagt einer der Anwesenden. Er lese vor allem die längeren Geschichten – und das «sehr gerne».
Eine andere Leserin findet die «Republik» als Projekt interessant: «Es ist ein Gegentrend zur aktuellen Entwicklung im Journalismus». Die Medien würden immer oberflächlicher und setzten immer stärker auf Bilder statt auf Texte.
Artikel, die in die Tiefe gehen
Die «Republik» liefert nur drei Artikel pro Tag, doch diese gehen stärker in die Tiefe. Viele der langen Texte seien lesenswert, sagt Medienjournalist Nick Lüthi von der «Medienwoche». Sie seien ein Alleinstellungsmerkmal. Die Redaktion nehme sich die Zeit und erbringe den Aufwand, «um einen Gegenstand ausführlich auszuleuchten.»
Tatsächlich liegt der Schwerpunkt der «Republik» auf längeren Artikeln, auf Hintergrundstücken. Daneben bietet sie Reportagen, Kolumnen und Zusammenfassungen der Sessionen des Parlaments.
Das ist kein journalistischer Rundum-Service, insbesondere keine umfassende News-Berichterstattung – denn die knapp 20 Journalistinnen und Journalisten können nicht alles abdecken. Doch die «Republik» stellt eine interessante Ergänzung dar.
Artikel über «Gott und die Welt»
Das Online-Magazin will sich durch die Qualität der Artikel unverzichtbar machen, wie Chefredaktor Constantin Seibt sagt. Die Leserinnen und Leser sollten der «Republik» vertrauen können. Ziel sei, «dass man seine Zeit bei uns normalerweise nicht verschwendet».
Weniger beeindruckt ist Rainer Stadler, Medienjournalist bei der «Neuen Zürcher Zeitung». Zwar findet auch er immer wieder gute Artikel in der «Republik». Doch ihm ist nicht klar, wo das Magazin genau hinsteuert. «Es gibt keinen richtigen Schwerpunkt», sagt er. Das sehe er als Problem.
Die Journalisten der «Republik» schrieben über Gott und die Welt, was im Internet-Zeitalter etwas gefährlich sei. «Die Kleinen sollten sich eher etwas spezialisieren um aufzufallen», glaubt Stadler. Denn die «Republik» muss sich im Kampf um Aufmerksamkeit gegen eine enorme Zahl von Medienangeboten aus dem In- und Ausland behaupten.
Stunde der Wahrheit im kommenden Jahr
Finanziell ist die «Republik» gut unterwegs: Bisher hat sie 20'000 zahlende Abonnenten. Und dank dem Crowdfunding ist die Finanzierung für zwei Jahre gesichert. Doch Chefredaktor Seibt weiss, dass die Stunde der Wahrheit bereits im kommenden Januar schlägt: Dann müssen die Leserinnen und Leser entscheiden, ob sie ihr Abonnement für 240 Franken verlängern oder nicht.
60 oder gar 70 Prozent Abo-Verlängerungsquote würden bedeuten, dass die «Republik» auf dem Weg zur Institution sei. Betrage die Quote dagegen bloss 30 Prozent, «dann sind wir auf dem Weg zur Hölle», wie Seibt es ausdrückt.
Wer hat schon Zeit, das alles zu lesen?
Gespannt warten auch die Medienbeobachter auf diese Phase. Was die längerfristigen Überlebenschancen der «Republik» angeht, sind viele skeptisch: Schliesslich reiche es nicht, wenn viele Abonnenten die Artikel toll fänden. Wichtig sei, dass sie die Zeit dazu fänden, die langen Texte tatsächlich zu lesen, sagt Medienjournalist Lüthi.
Auch wenn die meisten mit der Qualität der «Republik» zufrieden seien, könnten sie versucht sein, das Abo nicht zu erneuern, «weil es die Republik nicht schafft, sich in die Nutzungsroutine hineinzudrängen». Die Konkurrenz sei immens, deshalb werde dies der grösste Knackpunkt sein, ist Lüthi überzeugt.
Bei der «Republik» ist der Start also geglückt. Die Zukunftsaussichten sind allerdings alles andere als gewiss.