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1000 Proben auf dem Tisch ETH-Forscherin untersucht die ersten Corona-Wochen in der Schweiz

Suche im genetischen Fingerabdruck: Wer die Ansteckungswege kennt, kann das Virus künftig gezielter bremsen.

Wie kam das Virus in die Schweiz, und was passierte dann? Wie kam das Virus von einem Kanton zum anderen? Und warum ist die Ausbreitung im einen Landesteil heftiger, in einem anderen schwächer? Diese Fragen klingen simpel, sind es aber nicht. Die Forscherin Sarah Nadeau von der ETH Zürich sucht nach Antworten.

Nadeau ist Virengenetikerin, wie Trevor Bedford von der University of Washington in Seattle. Bedford wurde bekannt, weil er Anfang März herausfand, dass das Coronavirus schon mindestens sechs Wochen lang um Seattle in der Bevölkerung zirkuliert hatte, unbemerkt, unkontrolliert, und eingeschleppt direkt aus China. Entgegen der Aussagen von US-Präsident Donald Trump, der damals gerade Europa für die steigenden Fallzahlen in den USA verantwortlich machte.

Über 1000 Proben aus 21 Kantonen

Für die Schweiz fängt die Arbeit gerade erst an: Nadeau nutzt Proben von Coronatests aus der ganzen Schweiz, über tausend aus 21 Kantonen. Sie untersucht also die Virenproben von mehr als 1000 Infizierten aus dem ganzen Land.

Weil die Viren sich durch winzige genetische Unterschiede voneinander unterscheiden, kann die Forscherin abschätzen, wie nah verwandt die Viren aus der einen Probe mit den Viren aus der anderen Probe sind. Also auch, ob Infizierte eher einander angesteckt haben oder sich unabhängig voneinander infiziert haben.

Der Weg der Verbreitung

Die älteste Probe stammt von 4. März, also gut eine Woche nachdem das Virus zum ersten Mal in der Schweiz nachgewiesen wurde. Nadeau versucht die ersten Wochen der Epidemie nachzuzeichnen.

Möglich wäre zum Beispiel, dass sie herausfindet, dass eine Einschleppung aus Italien sich im Tessin vervielfältigte und viele weitere Ansteckungen in der ganzen Schweiz auslöste. Oder dass es viele Einschleppungen gab, und viele von weither kamen, aus den USA, aus China, vor allem über Flugreisende also.

Nadeau konzentiert sich erst einmal auf die allerersten Einschleppungen. Was sie darüber lernt, könnte helfen zu verhindern, dass das Gleiche noch einmal passiert, jetzt, da die Schweiz die Beschränkungen lockert.

Reproduktionszahl zu ungenau

Viel gesprochen wird über die Reproduktionszahl R. Diese gibt an, wieviele Menschen eine infizierte Person ansteckt. Das ist Nadeau viel zu grob. Denn manche Infektionskette verlaufe im Sand, während eine andere regelrecht explodiere.

Eine Infektionskette verläuft im Sand, während eine andere regelrecht explodiert.
Autor: Sarah Nadeau Virengenetikerin, ETH Zürich

Wann passierte was?

Mehr Wissen darüber helfe, das Virus in Zukunft gezielter zu bremsen. Mit spezifischeren Massnahmen statt eines allgemeinen Lockdowns. Zum Beispiel hofft Nadeau klären zu können, warum die Kantone Genf, Waadt und das Tessin stärker betroffen waren als viele deutschsprachige. Vielleicht einfach nur, weil das Virus dort später ankam, und die Menschen deshalb gewarnt und entsprechend vorsichtiger waren.

Aus solchen Hypothesen handfeste Fakten zu machen, dafür braucht Nadeau mit ihren Kollegen noch ein paar Wochen. Es wird interessant werden, ihr dann wieder zuzuhören.

Echo der Zeit, 01.05.2020, 18:00 Uhr

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