Zum «Arena»-Auftakt versucht es Jonas Projer mit Kuchen. Er rechnet Bundesrätin Doris Leuthard vor: Wenn man die Rezeptmengen verdoppelt, gibt's auch einen doppelt so grossen Kuchen. Wenn man einen Tunnel am Gotthard verdoppelt, hat man auch doppelt so viel Verkehr.
«Nein», widerspricht die Verkehrsministerin, denn «in den beiden Tunnel ist nur ein Einspurbetrieb vorgesehen. Das Verbot der Kapazitätserweiterung beim alpenquerenden Transitverkehr ist in der Verfassung und im Gesetz festgeschrieben.»
Daran glaubt Jon Pult nicht, denn aus Erfahrung wisse man: wenn man Strassen baut, werden sie auch benutzt. Für ihn sei es «unrealistisch zu denken, dass wenn für Milliarden die Kapazitäten gebaut werden, man diese später nicht braucht.»
Gesetze könnten rasch geändert werden und seien «nicht sehr stabile Bollwerke gegen Angriffe auf den Verfassungsartikel», meint Regula Rytz . Denn laut Gesetz seien maximal 650‘000 Transit-Lastwagen erlaubt – was aber nicht eingehalten werde.
Verlagerungspolitik oder Tunnelsanierung?
Leuthard wehrt sich gegen die Vermischung von zwei verschiedenen Fragen. «Es geht um eine Tunnelsanierung mit der Lösung durch einen neuen Tunnel mit Einspurbetrieb. Mit der Verlagerungspolitik hat das nichts zu tun, denn dafür wird die Neat für den Gütertransport in Betrieb genommen.»
Eine Zunahme des Güterverkehrs sei absehbar gewesen, darum habe man die Neat gebaut und die Schwerverkehrsabgabe eingeführt, um die Strasse teurer zu machen.
Mit dem zweiten Tunnel werde aber diese Politik in Frage gestellt, so Rytz. Und sobald ein weiterer Autobahntunnel in Betrieb gehe, werde der Druck zunehmen, weil dies die kürzeste Verbindung zwischen Nord- und Südeuropa darstelle.
Das bestätigt Ulrich Giezendanner , denn «Güter suchen sich immer den günstigsten Weg. Und der ist heute auf der Schiene». Auch sein Unternehmen transportiere jährlich weit über zehntausend Container mit der Bahn.
Kurz vor der Neat-Eröffnung eine zweite Tunnelröhre zu bauen, liege doch nur im Interesse der Lastwagen-Unternehmer, meint Pult. «Wir müssen doch zuerst schauen, was die Wirkung dieser Neat ist und dann die Frage zu stellen, ob es die zweite Röhre braucht.»
Fast zeitgleiche Gotthard-Abstimmung und Neat-Eröffnung
Dass die Abstimmung so zeitgleich mit der Eröffnung der Neat erfolge, wie das ein Zuschauer als Frage formuliert, ist für Leuthard reiner Zufall. «2005 hat dies der Bundesrat entschieden und es wurde daraufhin das Referendum ergriffen». Der Strassentunnel sei ab 2025 nicht mehr befahrbar und für die Vorarbeiten, Baubewilligungen und die sieben Jahre Bauzeit brauche es diesen zeitlichen Vorlauf.
Rytz findet die Frage nach der zeitgleichen Abstimmung und Neat-Eröffnung eine sehr berechtigte Frage. Man wisse, dass bis 2035 genügend Zeit für eine Sanierung bestanden hätte: «Es ist absolut kurzsichtig, nicht zu schauen, wie die Verlagerung durch die Neat verbessert werden kann.»
Jürg Grossen argumentiert als Unternehmer und findet es nicht sinnvoll, «das Doppelte zu bauen und dann nur die Hälfte zu nutzen.» Leuthard rechnet aber vor, dass bei Kosten von 2,4 Milliarden Franken für die Sanierung eine Alternative mit Verladestationen auch 800 Millionen kosten würde. «Nach vier Jahren ist aber dieses Geld futsch. Das ist wirtschaftlich ein Unsinn.»
Dilemma mit dem einspurigen Tunnel
Die «halbe Nutzung» des neuen Tunnels bleibt ein umstrittener Diskussionspunkt. Leuthard weist darauf hin, dass es Tunnel mit einer Höhenbeschränkung gebe, «weil wir den Alpenschutz ernst nehmen und den Einspurbetrieb garantieren. Es gebe 240 Tunnel auf Nationalstrassen und viele haben Pannenstreifen, die nicht befahrbar sind.»
Der Pannenstreifen im Gotthardtunnel werde in Zukunft für die Sicherheit gebraucht, sagt Thierry Burkart . Rund 300 Mal pro Jahr müssten Rettungsfahrzeuge in den Tunnel fahren. «Heute bedeutet das kurzfristig eine Tunnelsperrung.»
Alternativen zum Tunnelbau?
Leuthard bleibt dabei, dass es bei der Abstimmungsvorlage nur darum gehe, wie man den Gotthard-Strassentunnel saniert. Bei den Alternativen seien die Nachteile zu gross, etwa mit den vorgeschlagenen Verladestationen.
Der Urner Baudirektor Markus Züst gibt unumwunden zu, dass sich Uri schwer tut mit einer zweiten Gotthardröhre. «Der Regierungsrat Uri ist aber bereit, Verladestationen zur Verfügung zu stellen. Und er ist bereit, für einen Autoverlad zwischen Göschenen und Airolo auch noch weitere Optionen zu prüfen.»
Leuthard äussert Bedenken, denn es sei offen, ob die Verladestationen funktionieren werden. Ein Drittel des Schwerverkehrs könnte aus Kapazitätsgründen nicht verladen werden und suche sich andere Wege.
Auch Giezendanner ist vom Fahrzeugverlad nicht überzeugt. Eine «rollende Landstrasse» sei ein Auslaufmodell. «Heute verlädt man Container und nicht ganze Lastwagen», gibt er zu bedenken. Wenn man 900‘000 Lastwagen verladen wolle, sei der Bahntunnel blockiert.
Die Position des Kantons Tessin bei der Gotthard-Frage vertritt Regierungspräsident Norman Gobbi . Das zentrale Anliegen sei die Verbindungssicherheit, weil der Gotthard die einzige Strassenverbindung darstelle.
Es sei das erste Mal in der Geschichte, dass das Schweizer Volk über eine Tunnelsanierung abstimmen müsse. «Es wird zwar ein neuer Tunnel gebaut, aber ohne Kapazitätserhöhung. Denn bei einer Kapazitätserhöhung hat das Tessiner Volk immer dagegen gestimmt. Auch für die Alpeninitiative und gegen die Avanti-Initiative.»