Ingenieur Jörg Bareis aus Malans ist oft und gerne in den Bergen unterwegs. Obwohl das Calandamassiv praktisch vor seiner Haustüre steht, oben war er noch nie. Kürzlich hat sich das geändert. Bareis wählte aber nicht die einfachste Route, sondern einen Weg, der selten und nur von geübten Berggängern begangen wird. Er führt über einen ausgesetzten Punkt auf 2730 Metern, den die Einheimischen Napoleon nennen, der aber nicht auf der Karte verzeichnet ist.
Oben angekommen, folgte erst einmal der obligate Eintrag ins Gipfelbuch, wie sich das für Bergsteigerinnen und Bergsteiger gehört. Dann die Überraschung: Das Gipfelbuch stammt aus dem Jahr 1947. Seit 74 Jahren trotzt es auf dem Gipfel Wind und Wetter.
So viele Jahre auf dem Gipfel – das ist aussergewöhnlich. Normalerweise sind diese Bücher früher voll.
Das Buch liegt in einer Blechbüchse direkt unter dem Gipfelkreuz. Kaum geschützt haben die 74 Jahre am Buch Spuren hinterlassen. Die ersten Seiten sind vergilbt und haben Risse. Trotzdem sind die Einträge gut lesbar. Der Erste ist datiert auf den 31. August 1947 von Jöri Gasser, dem ehemaligen Hüttenwart der Calandahütte, der das Buch auch auf den «Napoleon» gebracht hatte.
Tatsächlich sei es aussergewöhnlich, dass Bergsteigende bereits seit über 70 Jahren in das gleiche Gipfelbuch schreiben, sagt Michelle Huwiler vom Alpinen Museum der Schweiz mit Sitz in Bern. In der Regel seien diese Bücher viel früher vollgeschrieben. Im Schnitt sei ein Gipfelbuch zwischen zwei und 31 Jahre lang in Gebrauch, weiss Michelle Huwiler von den Büchern aus der Sammlung des Museums. Wertvoll sei das Buch auf dem «Napoleon» insbesondere für Historikerinnen und Historiker, um zu sehen, wer sich darin verewigt hat.
Sollte ich es bekommen, würde ich das Gipfelbuch dem Staatsarchiv übergeben.
Noch soll das alte Gipfelbuch an seinem Ort bleiben und noch nicht ins Museum kommen. Das Buch soll erst dann vom Berg ins Tal gebracht werden, wenn es bis auf die letzte Seite vollgeschrieben ist, findet Hans Gasser, Sohn des ehemaligen Hüttenwarts der Calandahütte. Er freut sich für seinen verstorbenen Vater, dass «sein» Gipfelbuch aus dem Jahr 1947 einen Ehrenplatz auf sicher hat.