- Beim Impfen scheint das Potenzial ausgeschöpft: Nur der kleinste Teil der bisher Nicht-Geimpften will sich bald piksen lassen.
- Ein Impfzwang – selbst wenn dieser nur das Gesundheitspersonal betreffen würde – ist aktuell nicht mehrheitsfähig, wie die 8. Corona-Umfrage der Forschungsstelle Sotomo im Auftrag der SRG zeigt.
- Die wirtschaftliche Dimension der Coronakrise rückt in den Hintergrund, stattdessen nimmt nun die Angst vor einer Spaltung der Gesellschaft zu.
Seit der letzten Erhebung des SRG-Corona-Monitors im März zeigte der Impffortschritt der Schweiz nur in eine Richtung: steil nach oben. Gaben im März erst 8 Prozent der Erwachsenen an, mindestens einmal geimpft zu sein, waren es Anfang Juli bereits 60 Prozent (laut Daten des BAG liegt die tatsächliche Zahl zurzeit bei rund 52 Prozent). Nun zeichnet sich eine Sättigung ab. Nur noch 3 Prozent der Befragten geben an, sich sofort piksen lassen zu wollen.
Der Glanz der Impfkampagne scheint zu verblassen. Die Überzeugung lässt nach, dass die Impfung den Weg aus der Pandemie ebnet – sie sinkt von 61 auf 51 Prozent.
Die Dämpfer: das Auftauchen neuer Virusvarianten und die hartnäckige Impfskepsis. Rund ein Viertel der Befragten will sich grundsätzlich nicht impfen lassen – ein Wert, der sich seit Beginn der Impfkampagne Anfang Jahr kaum verändert hat. Die Hauptgründe für die Ablehnung: zu wenig erprobte mRNA-Impfungen, befürchtete Nebenwirkungen.
Je städtischer das Gebiet, desto mehr wird geimpft
Die aktuelle Erhebung der Forschungsstelle Sotomo zeigt weiter: Bei der Impfbereitschaft klafft ein deutlicher Stadt-Land-Graben. In Grossstädten und der Agglomeration gibt es mehr Impfwillige als im ländlichen Raum.
Wir haben auch einen ideologischen Impfgraben.
Gutverdienende stimmen einer Spritze eher zu als Menschen mit knappem Budget. Passend zu den sozioökonomischen Differenzen zeigen sich Unterschiede zwischen den Berufsfeldern. Personen aus dem Wissenschaftsumfeld krempeln eher die Hemdsärmel hoch als Arbeitnehmende im Landwirtschaftssektor.
Sotomo wollte weiter wissen, wie die Befragten zu einer Impfpflicht beim Gesundheitspersonal stehen. Das Resultat: Selbst punktuell ist ein Zwang nicht mehrheitsfähig. 46 Prozent sprechen sich dafür aus, 50 Prozent dagegen. Interessant ist: Die Skepsis gegenüber einer Impfpflicht im Gesundheitswesen ist in der Deutschschweiz am grössten. Eine klare Mehrheit dafür gibt es hingegen in der italienischsprachigen Schweiz.
Gemäss Studienleiter Michael Hermann dürfte die Impfpflicht noch zu reden geben. «Diese Debatte kann sogar noch härter werden. Denn wir müssen erwarten, dass die Fallzahlen mit der Delta-Variante wieder deutlich steigen.» Und somit auch Hospitalisierungen wieder zunehmen.
SVP-Basis gegen Impfung und Covid-Zertifikat
Auch die Bedeutung des Covid-Zertifikats dürfte laut Hermann in der politischen Diskussion der nächsten Monate eine grosse Rolle spielen. Denn: Am 28. November 2021 stimmt die Schweiz über das zweite Covid-19-Referendum ab. Und das Zertifikat ist ein springender Punkt dieser Gesetzesänderung.
Aktuell sprechen sich 61 Prozent der Bevölkerung für das Covid-Zertifikat aus, 35 Prozent sind dagegen. Der grösste Widerstand kommt vonseiten der SVP-Basis.
Von deren Anhängerschaft will sich auch mehr als die Hälfte nicht impfen lassen. Bei der Basis der Grünen ist zwar ebenfalls Skepsis vorhanden. Mit 15 Prozent ist der Anteil jener, die sich nicht impfen wollen, jedoch deutlich kleiner als die 51 Prozent der Impfgegner bei der SVP.
«Wir haben einen ideologischen Impfgraben. Die Anhänger fast aller Parteien wollen sich mehrheitlich impfen lassen, nur bei der SVP stellt sich eine Mehrheit dagegen», sagt Michael Hermann. «Es ist ein neuartiges Phänomen, dass eine Impfung derart politisiert ist.»
Bemerkenswert ist: Mehr als zwei Drittel der Befragten verbinden das Zertifikat mit einem indirekten Impfzwang – obwohl dieses neben einer Impfung auch negative Testresultate sowie eine Genesung von Corona ausweist.
Gesellschaftskrise verdrängt Existenzängste
Der Fortschritt der Impfkampagne, die sinkenden Fallzahlen und die grossen Lockerungen haben sich als wahre Stimmungsheber entpuppt. Der Anteil der Befragten, der angibt, es gehe ihnen gut oder sehr gut, ist von 60 auf 80 Prozent gestiegen. Besser als je zuvor während der Pandemie schätzen die Befragten auch die wirtschaftliche Situation ein. Immer weniger fürchten sich vor Jobverlust und finanziellen Einbussen.
Die Krise hinterlässt dennoch Spuren – nämlich in der Gesellschaft, und dies stärker denn je. «Die Angst vor Polarisierung und Konflikten im Umfeld ist grösser geworden», sagt Studienleiter Michael Hermann. Jede vierte Person fürchtet sich davor – ein bisheriger Höchstwert. Die Gesellschaft nehme im Alltag immer weniger Solidarität, dafür immer mehr Egoismus wahr, heisst es in der Auswertung.
Homeoffice dürfte Krise überdauern
In der aktuellen Umfrage hat Sotomo ferner das erste Mal erhoben, welche Folgen die Coronakrise langfristig haben dürfte. Zuoberst auf der Rangliste: das Homeoffice.
Dass auch nach Ende der Pandemie zumindest ein Teil der Arbeit von zu Hause aus geleistet werden kann, wünschen sich mittlerweile drei Viertel der Befragten – so viele wie noch nie. 13 Prozent möchten gar nur noch daheim arbeiten – ebenso viele Befragte, die aktuell im Homeoffice sind, würden allerdings lieber schon heute als erst morgen ins Büro zurückkehren.
Die Frage nach den langfristigen Folgen zeigt weiter: 60 Prozent der Teilnehmenden rechnen mit weniger Geschäftsreiseverkehr – aber nur knapp 20 Prozent glauben, dass das Klima von der Pandemie profitieren wird.