Sie sind mit der Hoffnung auf ein besseres Leben gekommen – und in einer Sackgasse gelandet: Asylsuchende, die rechtskräftig abgewiesen wurden, sich aber weigern, die Schweiz zu verlassen. Sie erhalten vom Staat nur noch das Notwendigste, die sogenannte Nothilfe.
Die Nothilfe ist nur gedacht für eine kurze Zeit zwischen negativem Asylentscheid und Ausreise – aber viele verbleiben Jahre in dieser Lebenssituation, darunter auch Kinder: Per Ende 2019 bezogen laut Staatssekretariat für Migration (SEM) 572 Minderjährige Nothilfe, 385 davon seit mehr als einem Jahr.
Isoliert statt integriert
Unter ihnen auch die vier Kinder einer Familie aus Sri Lanka im Kanton St. Gallen: Seit über zwei Jahren lebt die sechsköpfige Familie im Ausreise- und Nothilfezentrum Sonnenberg in Vilters. Die Kinder – zwei, vier und sechs Jahre alt – sind alle in der Schweiz geboren. Das Zentrum ist abgelegen, der Marsch zur nächsten Bushaltestelle dauert 30 Minuten. Die Platzverhältnisse sind eng: Die tamilische Familie teilt sich ein Zimmer.
Die Unterkunft sei kein gutes Umfeld für die Kinder, sagt der Vater. Es gebe viele allein reisende Männer, die Stimmung sei angespannt, es gebe Streit. Und die Schulsituation sei schwierig: Alle Kinder von 4 bis 16 Jahren werden gemeinsam unterrichtet – im Zentrum selbst.
Fredy Fässler, der zuständige St. Galler Regierungsrat (SP), verteidigt die Praxis. Man wolle den Eltern die Perspektivlosigkeit in der Schweiz aufzeigen: «Ich glaube, dass es für die Kinder besser ist, wenn die Eltern ausreisen, als wenn sie hier in der Schweiz über Jahre in einer absolut unsicheren Situation leben – ohne Perspektive, ohne Arbeitserlaubnis und immer im Ungewissen, ob am nächsten Tag die Polizei kommt.»
Für Pfarrer Daniel Winkler sind solche Lebensbedingungen untragbar. «Dass Frauen und Kinder über Jahre in Zentren leben, ist nicht, wie die Behörden sagen, konsequente Asylpolitik, sondern grausam», sagt der Pfarrer aus Riggisberg.
Er setzt sich mit der Aktionsgruppe «Nothilfe für Betroffene» ein. «Kinder sind dem Stress, den Ängsten und der Verzweiflung der Eltern ausgesetzt, sie können sich nicht abgrenzen.» Er sei Realist, sagt Winkler, wer zurückgehen könne, solle gehen. «Aber solange sie da sind, müssen sie menschenwürdig leben können.»
Kantone haben Spielraum
Dieses Prinzip verfolgt man auch im Kanton Schaffhausen. Hier werden Familien immer in Wohnungen untergebracht, die Kinder besuchen die öffentliche Schule. Und ihre Eltern haben Zugang zu Deutschkursen und Beschäftigungsangeboten. «Kinder haben von der Verfassung und der UNO-Kinderrechtskonvention geschützte Rechte – diese stehen über der Nothilfe-Regulierung», sagt Andi Kunz vom Sozialamt Schaffhausen.
«Abschreckungspolitik auf dem Buckel der Kinder ist zynisch – und langfristig sehr teuer.» Man wisse, dass ein Teil der Abgewiesenen dableiben werde. Es sei darum im Interesse des Kantons, diese zu integrieren.
Der St. Galler Sicherheitsdirektor Fässler zeigt sich offen für andere Ansätze – das müsse aber auf nationaler Ebene geklärt werden. «Wenn man wirklich zum Schluss kommt, dass eine Unterbringung in Kollektiv-Unterkünften kinderrechtswidrig ist, dann muss man die Bundesgesetze anpassen.»
Die Kinder in der Nothilfe beschäftigen auch die Eidgenössische Migrationskommission (EKM) seit langem. Für Mitte Juni hat die EKM Vertreterinnen und Vertreter von Behörden und Fachorganisationen zu einem Runden Tisch eingeladen. Ziel ist eine Auslegeordnung zum aktuellen Wissensstand.