Moutier stimmt diesen Sonntag über einen Kantonswechsel ab. Welche Bedeutung hat diese Abstimmung für die Bewältigung des Jurakonflikts?
Dick Marty: Diese Abstimmung ist der Abschluss des politischen Prozesses, auf den sich die Regierungen der Kantone Bern und Jura im Rahmen der Inter-Jurassischen Versammlung (IJV) geeinigt haben. Er begann 2013 mit einer ersten Phase, als das Volk entschieden hat, keinen neuen Kanton zu bilden. In einer zweiten Phase können die einzelnen Gemeinden nun entscheiden, zu welchem Kanton sie gehören wollen. Für uns war immer klar: Die delikateste Phase ist die Abstimmung in Moutier. Seit 20 Jahren hat die Gemeinde eine politische Mehrheit, die jurafreundlich ist. Die Abstimmungen in den Gemeinden bilden den politischen Abschluss der Jurafrage.
Das heisst, die Bedeutung dieser Abstimmung ist enorm?
Moutier ist das grösste Zentrum des bernischen Juras. Sollte Moutier einem Kantonswechsel zustimmen, könnte das einige Probleme im Berner Jura auslösen.
Wie schwierig war es, die beiden Seiten zu einem Prozedere zu bewegen, zudem alle Ja sagen können?
Der Anfang war sicherlich schwierig. Es gab viel Hass. Es gab Familien, die zerstört waren, Brüder, die nicht mehr mit ihren Eltern sprachen. Es gab Restaurants, Geschäfte, die nur Separatisten bedienten oder nur Pro-Berner. Ich glaube, man kann stolz sein als Schweizer, dass wir solche Probleme in dieser Art und Weise lösen können. Die Inter-Jurassische Versammlung war etwas Neues, Kreatives in unserer politischen Geschichte und ich glaube, ihre Arbeit ist gelungen.
Jetzt interessiert sich auch die spanische Regierung für unseren Abstimmungsprozess.
Kann die Schweiz ein Vorbild sein für andere Konflikte dieser Art?
Wir haben viele Besucher aus dem Ausland gehabt. Delegationen aus Katalonien oder dem Balkan, die schauen wollten, wie wir diese Probleme lösen. Sie waren erstaunlich gut vorbereitet und wussten bestens über den Jurakonflikt Bescheid. Ich glaube aber, das Modell als solches ist nicht exportierbar. Es ist massgeschneidert für die Schweiz. Aber man kann Leitprinzipien ableiten, wie man einen Dialog institutionalisiert, auch ritualisiert, um eine friedlichere Lösung zu finden. Und spannend: Jetzt interessiert sich auch die spanische Regierung für unseren Abstimmungsprozess.
Und das führen Sie darauf zurück, dass man in Spanien gesehen hat, dass man in der Schweiz auf diese Art vorwärts gekommen ist?
Ja, auch die friedliche Bildung des Kantons Jura war für manche Länder eine Sensation. Diese Kaskade von Abstimmungen, das ist ein Feintuning der Demokratie. Das ist Swissness. Im Ausland ist man es sich nicht gewöhnt, dass auch kleine Gemeinden mitentscheiden können.
Ich glaube, für diese politische Generation ist die Sache nach der Abstimmung abgeschlossen.
Glauben Sie persönlich, dass mit dieser Abstimmung der Jurakonflikt definitiv gelöst ist?
Nach einer solchen Abstimmung wird etwa die Hälfte zufrieden sein und die andere Hälfte unzufrieden. Egal, wie das Resultat aussieht. Man muss auch sagen: Das ist keine Tragödie. Man muss die Sache entdramatisieren.
Das erlaubt mir zu sagen, dass die Schweiz ein glückliches Land ist, wenn wir solche Probleme haben.
Ich glaube, für diese politische Generation ist die Sache nach der Abstimmung abgeschlossen. Was die nächsten Generationen machen werden, können wir jetzt nicht sagen.
Das Gespräch führte Daniel Schäfer.