«Es scheint fast so, als weiss das Parlament nicht, was es genau will», sagt Gabriela Medici vom Schweizerischen Gewerkschaftsbund.
Ähnliches ist von Lukas Müller-Brunner vom Arbeitgeberverband zu hören: «Aus Sicht der Arbeitgeber hätten wir uns natürlich gewünscht, dass es etwas zügiger vorwärtsgeht.»
Worauf die beiden anspielen: Politiker und Politikerinnen kommen seit Jahren zu keinem Abschluss über eine Vorlage des Bundesrats:
- Nachdem das Stimmvolk 2017 die Reform «Altersvorsorge 2020» abgelehnt hatte, legten die Sozialpartner 2019 einen Kompromiss vor. Der Bundesrat überwies ihn Ende 2020 ans Parlament.
- Am 8. Dezember 2021 beschloss der Nationalrat nach intensiven Debatten einen geänderten Beschluss.
- Diesen Beschluss schickte der Ständerat am 15. Juni zurück in seine Kommission für Soziale Sicherheit und Gesundheit.
- In dieser Kommission wird er seit dem 6. September neu debattiert.
Eine Rückweisung in die Kommission ist ein ungewöhnlicher Vorgang. «Das zeigt das Lobby-Chaos hinter den Kulissen par excellence», sagt Gabriela Medici vom Gewerkschaftsverband. «Es ist nicht besonders vertrauenerweckend.»
Die Diskussionen entzündeten sich am Zuschlag, den Neu-Rentner und -Rentnerinnen dafür erhalten sollten, dass der Umwandlungssatz gesenkt werden soll.
Über diese Senkung herrschte indes Einigkeit. Aber sollten alle einen Zuschlag erhalten oder nur eine Übergangs-Generation?
Der ausgehandelte Kompromiss wollte Ersteres (siehe Textbox). Die bürgerliche Seite kritisierte das als unerwünschtes «Giesskannenprinzip» und setzte durch, dass der Vorschlag des Nationalrats nach den ersten 15 Jahrgängen keine Zuschläge mehr vorsah.
Ist der Vorschlag noch breit genug abgestützt?
Aus Sicht von Gabriela Medici, Zentralsekretärin Sozialversicherung beim Schweizerischen Gewerkschaftsbund, ist das politische Hin und Her nicht nachvollziehbar: «Die Sozialpartner, die ja gemeinsam die Verantwortung für die zweite Säule tragen, haben eineinhalb Jahre verhandelt und eine solide Lösung präsentiert. Sie ist immer noch da, der Bundesrat hat sie übernommen. Jetzt muss das Parlament entscheiden, ob es sie wegfegen will.»
Aber stehen beide Seiten noch zu ihrem Kompromiss? Lukas Müller-Brunner leitet beim Schweizerischen Arbeitgeberverband die Bereiche Sozialpolitik und Sozialversicherung. Er will sich zum ursprünglichen Vorschlag nicht mehr äussern. Er sagt: «Der Ball ist im Spielfeld des Parlaments, wir stehen am Rand. Wir kommentieren selbstverständlich, aber uns braucht es nicht für diese Lösung. Es ist Aufgabe des Gesetzgebers.»
Am Donnerstag, 8. September, geht die Diskussion der BVG-Reform in eine neue Runde. Dann wird die Ständeratskommission das Ergebnis ihrer Debatte mitteilen.