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Zeitungsständer
Legende: Nach dem klaren Votum für die Abzocker-Initiative rauscht es kräftig im Blätterwald. Keystone/archiv

Abzocker-Initiative «Die Schweiz tritt den Abzockern ans Schienbein»

Die Schweizer Zeitungen deuten das Ja des Stimmvolks zur Abzocker-Initiative als deutliches Signal an die Wirtschaftseliten zur finanziellen Mässigung.

Die Wirtschaftseliten seien gut beraten, das Signal des Abstimmungssonntags ernst zu nehmen, ansonsten drohe der Wirtschaft auch mit Blick auf die 1:12-Initiative der Juso mehr Regulierung, heisst es in einigen Kommentaren.

Reaktionen auf den Abstimmungssonntag

«Firmen bekommen Imageproblem»

«Wuchtig» hätten Schweizerinnen und Schweizer «den Abzockern ans Schienbein» getreten, meint etwa das «St. Galler Tagblatt». Doch «nicht nur in der Schweiz wendet sich die öffentliche Meinung akzentuierter gegen nicht zu rechtfertigende Bezüge in märchenhafter Höhen», fährt die Zeitung fort und ergänzt: «Firmen mit unanständig hoch entschädigten Chefs bekommen ein Imageproblem.»

Die Schweiz habe «gestern nicht dem Markt eine Abfuhr erteilt», betont die «Neue Luzerner Zeitung». Stattdessen «hat sie daran erinnert, dass auch all die tollen Manager in das gesellschaftliche System Schweiz eingebunden sind. Und das es Eidgenossen nicht dulden, wenn mitten unter ihnen Leistungsträger nur noch auf Selbstbereicherung machen.»

«Rechnung für Ignoranz»

Nach Ansicht der «Aargauer Zeitung» haben die «Grosswirtschaft und ihre Lobbyisten gestern die Rechnung für ihre jahrelange Arroganz wie Ignoranz kassiert.» Auch vor «diesem Hintergrund ist die Wirtschaftselite gut beraten, ihre Sinne für Volkes Seele zu schärfen.»

Und «Der Bund» schaut gespannt in die Zukunft, wenn er schreibt: «Wie sich das Ja längerfristig auswirkt, hat die Wirtschaft letztlich selber in der Hand. Hört sie die Signale, wird der Goodwill für eine freie Wirtschaft wieder wachsen.»

Belegschaft fordert Anteil am Erfolg

Der «Tages Anzeiger» kommentiert: «Eine Mehrzahl empfindet die hohen Vergütungen als unanständig hoch.» Es sei «wohl nicht vor allem Neid, der hier zum Ausdruck kommt, sondern das Gefühl, dass die Firmenoberen die Kassen auf Kosten der Gesellschaft plündern.»

Das Blatt kommt zu dem Ergebnis: «Die höhere Produktivität – schneller, besser, effizienter – erzielte allerdings die Belegschaft. In ihrer Rolle des Staatsbürgers reklamiert sie jetzt einen fairen Anteil am Erfolg.»

Unvermögen des Establishments

Und die «Neue Zürcher Zeitung» sieht einen klaren Sieg für den Initiator der Initiative: «24 zu 0 für Minder. Die erste Zahl steht für die neuen Verfassungsbestimmungen, von denen viele sinnvoll, einige aber undurchdacht und schädlich sind. Die zweite steht für das Unvermögen des politischen und wirtschaftlichen Establishments, das weitverbreitete Unbehagen über die Salär- und Boni-Exzesse ernst zu nehmen.»

Und auch gute Ratschläge hat das Blatt parat: «Die Verlierer sollten bei der Umsetzung der Minder-Initiative geradlinig vorangehen, aber auch mit Augenmass. Das gilt ebenso für die Initianten und die Linken.»

«Wutbürger in der Schweiz angekommen»

Das Ja des Schweizer Volkes zur Abzocker-Initiative ist auch bei den Medien auf der anderen Seite der Landesgrenze auf grosses Interesse gestossen.

«Jetzt sind die Wutbürger auch in der Schweiz angekommen», kommentiert etwa die «Süddeutsche Zeitung» in ihrer online-Ausgabe. «Dort dürfen sie allerdings nicht nur protestieren, sondern tatsächlich entscheiden.» Durch die Annahme der Initiative hätten die Stimmbürger «ihrem Land so potenziell eines der schärfsten Aktionärsrechte der Welt» beschert.

Betätigungsfeld für Lobbyisten

«Wahrscheinlich ergäbe eine Volksabstimmung gegen die 'Abzockerei' überall eine ähnlich hohe Zustimmung wie in der Schweiz», mutmasst die «Frankfurter Allgemeine Zeitung» ihrerseits. In ihrer online-Ausgabe warnt sie aber vor zu grossem Optimismus: Bis das Resultat in ein Gesetz gegossen sei, werde es noch dauern. «Das bietet Lobbyisten aller Art ein reiches Betätigungsfeld.»

Die liberale Wiener Zeitung «Der Standard» schreibt: «Das Beispiel der Eidgenossen sollte in Europa Schule machen. Unsere freie Wirtschaftsordnung würde davon profitieren.»

Schweiz vor «echter Revolution»

Die französische Wirtschaftszeitung «Les Echos» spricht gar davon, dass die Schweiz «eine echte Revolution» erleben werde. «Sie wird zur Weltmeisterin der Aktionärsdemokratie», schreibt die Zeitung weiter.

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