Seit 1823 wird in Gerlafingen (SO) Stahl produziert. Das Werk ist das älteste Stahlwerk der Schweiz – und mit Swiss Steel in Emmenbrücke (LU) eines der beiden letzten, das noch Schweizer Stahl produziert. Der ehemalige Dorfarzt Reto Scartazzini erinnert sich an viel Rauch, aber auch an Kindheitsnachmittage auf dem Schrottplatz.
Stahl kommt meist aus China oder Indien. Die Zeiten, in denen Arbeiter in der lärmigen Fabrik bei hohen Temperaturen und russiger Luft Stahl kochten, sind nicht vorbei, aber das Stahlwerk hat sich verändert. Heute verwertet die Fabrik in Gerlafingen einen Grossteil des Schweizer Altmetalls und produziert daraus wiederum Stahl. Die Umweltthematik ist omnipräsent.
30 Jahre war Hausarzt Reto Scartazzini auch Werksarzt der Stahl Gerlafingen. Er ist hier aufgewachsen. «Für uns Buben war es ein Paradies. Wir spielten auf dem Schrottplatz vor dem Stahlwerk und fanden spannende Dinge».
Gerlafingen entwickelte sich vom Bauerndorf zum Industriedorf. Arbeiterwohnungen, Baracken, Direktionsvillen und Schulen wurden gebaut. Italiener seien nach Gerlafingen gekommen, später Arbeiter aus der Türkei, aus dem ehemaligen Jugoslawien, erzählt der 86-Jährige.
Die Rauchwolken sind als Erinnerung noch sehr präsent.
Die Umweltbelastung sei sicht- und fühlbar gewesen, erinnert sich Scartazzini: «Die Rauchwolken sind noch sehr präsent in der Erinnerung. Auch der Staub im Garten – es hat je nach Wind gestunken.»
Gelber Qualm in der Luft, belastete Böden, Schwermetalle im Fluss. «Die Umweltbelastung war von Anfang an ein Riesenthema, Erz in der Emme, das wollten die Anwohner nicht», erklärt der Solothurner Historiker André Schluchter.
Strengere Umweltvorschriften
Nach dem Chemieunfall in Schweizerhalle bei Basel 1986 wurden die Schweizer Umweltschutzgesetze verschärft. Auch das Stahlwerk Gerlafingen musste nachrüsten. Es baute als eines der letzten Schweizer Stahlwerke die nötigen Filter ein. Seither habe man immer wieder in den Umweltschutz investiert, sagen die Zuständigen.
Heute funktioniere das Nebeneinander besser, sagt Markus Chastonay vom Solothurner Amt für Umwelt: «Das Ziel ist, die Grenzwerte einzuhalten. Jahr für Jahr, Schritt für Schritt soll es noch besser werden, das haben wir mit Stahl Gerlafingen so vereinbart.»
Die Stahl Gerlafingen hat Krisen überstanden, Streiks, Überproduktionen von Stahl, mehrmalige Besitzerwechsel, hohe Strompreise. Zu den Glanzzeiten arbeiteten über 3000 Personen im Stahlwerk. Unterdessen sind es noch rund 500.
Enormer Stromverbrauch
Zum Schmelzen von Schrott brauche das Unternehmen rund 360 Gigawattstunden Strom pro Jahr, so viel Strom wie etwa 74'000 Schweizer Haushalte. Für Oktober 2022 rechnete das Unternehmen mit Energiekosten von 45 Millionen Franken.
Die hohen Energiepreise bedrohen unsere Existenz.
Das Stahlwerk Gerlafingen musste im Herbst 2022 deswegen Kurzarbeit beantragen. «Die hohen Energiepreise bedrohen unsere Existenz», sagte der Geschäftsführer des Betriebs damals.
Ungewisse Zukunft?
«Gehen in der Schweizer Stahl- und Aluminiumindustrie bald die Öfen aus?», titelte die Neue Zürcher Zeitung diesen April.
Klar ist: Die Geschichte des Solothurner Stahlwerks ist bewegt, seit 200 Jahren wird sie geschrieben. Dafür wurde für die Jubiläumsfeier im 24-Stunden-Betrieb eine Ausnahme gemacht und die Öfen für 24 Stunden stillgelegt. Ein ungewohntes Bild in einem Werk, das trotz Hürden und Krisen immerzu Stahl gegossen hat.