- Zwei Verbände von albanischen Muslimen in der Schweiz haben eine Charta unterzeichnet.
- Diese beinhaltet ein Bekenntnis zur Trennung von Kirche und Staat und zum Rechtsstaat.
- Die albanischen Muslime wollen damit ein Zeichen gegen religiöse Radikalisierung setzen.
Jeder zweite Muslim, jede zweite Muslima in der Schweiz stammt aus Albanien oder dem Kosovo. Es sei an der Zeit, etwas gegen das schlechte Bild zu tun und ein Zeichen zu setzen, sagt Mustafa Memeti. Er ist Präsident des Albanisch Islamischen Verbandes in der Schweiz. Zusammen mit dem Präsidenten des Imam-Verbandes signierte er die Charta im Haus der Religionen in Bern. Anwesend waren Delegationen aus der Schweiz, aus Albanien, Kosovo und Mazedonien.
Sie sei ein Leitfaden für die Muslime in der Schweiz, erklärt Memeti: «Die Charta kann eine Basis, ein Fundament sein, ein Grundpfeiler unserer gemeinsamen Zukunft.» Es gehe um den Rechtsstaat, die Demokratie und die Freiheit. «Wir schaffen Gleichberechtigung und Gleichbehandlung, was zu einer demokratischen Gesellschaft wie der Schweiz gehört.» Mit der Charta wollen die albanischen Muslime der Mehrheitsgesellschaft die Angst nehmen.
Im Text anerkennen sie, dass weltliches Recht über religiösem Recht steht und dass Männer und Frauen gleichberechtigt sind. Ausserdem distanzieren sie sich klar von Gewalt und Extremismus. Die zweiseitige Charta sei den knapp 100 albanischen Kulturvereinen in der Schweiz verteilt worden. Sie solle in den Moscheen aufgehängt und besprochen werden, so Memeti weiter.
Wer unterschreibt, anerkennt den Rechtsstaat
Die Schweizer Behörden begrüssen die Charta: Sie stelle einen wichtigen Beitrag gegen religiöse Radikalisierung dar. Gut findet die Charta auch Jasmin El Sonbati. Sie ist Autorin des Buches «Gehört der Islam zur Schweiz?» und setzt sich für einen liberalen Islam in der Schweiz ein. Es sei gut, dass sich die albanischen Muslime und Imame zum Rechtsstaat bekennten – aber das ja eigentlich selbstverständlich. Sie will die Imame künftig beim Wort nehmen.
«Man kann die Leute darauf behaften und sagen: ‹Hört mal, ihr wehrt euch dagegen, ihr wollt nicht den Anstrich der Extremisten haben. Aber einzelne von euch haben extremistische Prediger eingeladen. Das passt nicht.›» El Sonbati spricht darauf an, dass sich der Islam auf dem Balkan in den vergangenen Jahren verändert hat.
Früher war der albanische Islam vergleichsweise offen und tolerant. In den letzten Jahren wurden jedoch konservative – salafistische – Strömungen stärker. Das hat Auswirkungen auf die Schweiz, denn es gibt keine Ausbildung für Imame im Land.
Die Prediger kommen also alle aus dem Ausland. Und jüngst luden albanische Moscheen verschiedene radikale Prediger ein. Hier zeigt sich ein Problem: Ein Verband, der sich für einen gemässigten Islam stark macht, und einzelne Moscheen, die radikalen Imamen eine Plattform geben.
Das Bekenntnis soll nicht reine Theorie bleiben
Das muss auch Verbandspräsident Memeti zugeben: «Solche Sorgen und Vorbehalte habe ich selber. Deshalb habe ich immer gesagt, es soll nicht nur Tinte auf dem Papier sein. Denn jegliche Theorie, die wir nicht in die Praxis umsetzen, ist nur Zeitverschwendung. Deswegen verpflichten sich die beiden Verbände, diese Charta in der Praxis umzusetzen.» Er setzt also grosse Hoffnungen in die neue Charta – sie soll ein praktischer Leitfaden für die albanische Gemeinschaft werden.
Jasmin El Sonbati ist weniger zuversichtlich: Um den Konflikt zwischen dem konservativen salafistischen Weltbild und dem modernen Leben in der Schweiz aufzulösen, reiche diese Charta nicht aus: «Was mir und anderen Musliminnen und Muslimen in der Schweiz fehlt, sind liberalere Haltungen, Öffnungen, kritische Diskussionen. Eine klare Haltung, dass Frauen frei über ihr Leben, ihre Sexualität entscheiden können. Ein Islam, der aus der Schweizer Gemeinschaft heraus entsteht und gelebt werden kann.»
Dafür bräuchte es wohl auch eine Imam-Ausbildung in der Schweiz. Dagegen gibt es aber Widerstände. Die neue Charta ist auf jeden Fall ein Schritt in die richtige Richtung.