- Ein Expertenbericht zur Gefährlichkeit radioaktiver Strahlung nach einem AKW-Unfall verzögert sich um mindestens zwei Jahre.
- Gefordert hatte diesen Bericht die ständerätliche Umweltkommission nach einer umstrittenen Anpassung der Strahlungsgrenzwerte durch den Bundesrat.
- Eigentlich hätte der Bericht Ende 2021 vorliegen sollen. Nun muss das Bundesamt für Energie (BFE) eingestehen, dass die Arbeit noch gar nicht richtig begonnen hat.
Man kann sie weder hören, noch sehen und auch nicht direkt spüren. Trotzdem richtet radioaktive Strahlung im menschlichen Körper Schaden an und kann die Gesundheit stark gefährden, beispielsweise Krebs auslösen. Wie viel Strahlung nach einem Unfall in einem Kernkraftwerk austreten dürfte und wie gefährlich diese Dosis dann für Menschen wäre, das will der Bund nach politischem Druck durch unabhängige Fachleute klären lassen.
Wie die Zeitschrift «Beobachter» jetzt schreibt, hat die Arbeit an diesem Bericht allerdings noch nicht richtig begonnen, obwohl er eigentlich bis Ende 2021 hätte fertig sein sollen.
Streit um richtige Strahlungsgrenzwerte
Die Forderung nach einem Bericht über mögliche Schäden durch Strahlung kommt nicht etwa von Umweltverbänden oder aus dem links-grünen Politlager, sondern von bürgerlicher Seite. FDP-Ständerat Damian Müller hat den Vorstoss in der ständerätlichen Umweltkommission lanciert. Hintergrund war eine umstrittene Anpassung der Strahlengrenzwerte bei einem Atomunfall, bei der das AKW Beznau als ältestes Kraftwerk der Schweiz im Zentrum steht.
Ein Grenzwert in der Kernenergieverordnung legt fest, wie viel Strahlung bei einem 10'000-jährlichen Erdbeben maximal in die Umwelt austreten dürfte. Bei einem solchen Extremereignis sind Schäden an den beiden Reaktoren in Beznau wahrscheinlich. Deswegen sind die Grenzwerte zentral. Die KKW-Betreiber müssen in ihren Sicherheitskonzepten nachweisen, dass sie diese Werte einhalten können. Basierend darauf erhalten sie die Betriebsbewilligung.
Welche Grenzwerte aber richtig sind, wie hoch die Strahlenbelastung nach einem Unfall sein dürfte, dazu gibt es seit Jahren politischen und juristischen Streit. Verschiedene Fachleute – auch atomfreundliche – kritisieren die vom Bund definierten 100 Millisievert als zu hoch. Der Bund beruft sich auf andere Stimmen und sagt, erst ab diesem Grenzwert seien gesundheitliche Beeinträchtigungen nachweisbar. In dieser Kontroverse soll der neue Bericht von unabhängigen Expertinnen und Experten Klarheit schaffen.
Mögliche Konsequenzen für die Zukunft von Beznau
Auf diese Klarheit wird man nun allerdings noch etwas warten müssen. Das Bundesamt für Energie sagt gegenüber dem «Beobachter», dass man zuversichtlich sei, die Arbeit bald starten zu können. Der Bericht sollte dann bis Anfang oder Mitte 2023 vorliegen – mindestens zwei Jahre später als geplant. Grund für die Verzögerung sei einerseits die schwierige Suche nach unabhängigen Fachleuten, andererseits brauche es aktuell noch formelle Klärungen zum Auftrag.
Mit Spannung erwarten wird den Bericht auch die Axpo, die Betreiberin des AKW Beznau. Falls die Fachleute nämlich zum Schluss kommen würden, der 100 Millisievert-Grenzwert sei zu hoch angesetzt, so könnte das unter Umständen zur Stilllegung des ältesten Schweizer Kernkraftwerkes führen.