Bis vor kurzem zahlte die IV für die Behandlung von Geburtsgebrechen bei stark behinderten Kindern etwa die Miete lebensnotwendiger Geräte. Doch damit ist nun Schluss. Künftig müssen viele Eltern die Kosten selber übernehmen.
Wie die «NZZ am Sonntag» berichtet, hat das Bundesamt für Sozialversicherungen verordnet, dass nur noch Leistungen, die auf einer bestimmten Liste festgehalten sind, von der IV übernommen werden.
Zusatzkosten von 1000 Franken pro Monat
Das Parlament hatte sich 2019 gegen solche Listen bei Kindern ausgesprochen. Wie viele Familien betroffen sind, ist laut der Zeitung nicht bekannt. Die Änderung kam ohne Vorwarnung, bei Betroffenen kann sie von einem Monat auf den anderen beträchtliche Zusatzkosten im Haushaltsbudget bedeuten.
Melanie Hauss ist Mutter eines beeinträchtigten Sohnes. Der kleine Sian leidet am CHARGE-Syndrom. Er ist auf lebensnotwendige Geräte angewiesen, die ihm beim Atmen helfen. Monatlich muss die Familie nun für einen Grossteil der Kosten selbst aufkommen. «Wir bezahlen drei Viertel der Rechnung per sofort selber. Ich habe jetzt Ende März die erste Rechnung für Sians Geräte bekommen. Und die beläuft sich auf 900 Franken.»
Melanie Hauss findet, viele Politiker seien realitätsfern und wüssten nicht, was so ein Entscheid bewirkt. «Ich glaube, ich gehe mit Sian einfach mal in so ein Büro und stelle ihn vor und erkläre den Verantwortlichen, dass wir am Anfang 15 Mal in der Stunde abgesaugt haben und dass es nicht einfach so ist.»
Politik und Verbände fordern Massnahmen
Mitte-Nationalrat Christian Lohr erinnert sich an die IV-Revision 2019. Das Parlament wollte damals die Leistungen für Kinder mit Geburtsgebrechen auf keinen Fall einschränken. «Wir haben uns in beiden Räten klar dagegen ausgesprochen, weil eine Unterversorgung drohen könnte, wenn die betroffenen Familien auf einmal zusätzlich belastet würden.»
Doch genau dies sei nun passiert. Laut der Selbsthilfeorganisation für Menschen mit Behinderungen, Procap, müsse sich die IV mit den Geräteanbietern auf die Preise einigen. Die IV müsse nun als Erstes die offenen Rechnungen übernehmen. Anna Pestalozzi, stellvertretende Leiterin Sozialpolitik bei Procap Schweiz findet zudem: «Die Familien brauchen Zeit, um die Anbietenden der Geräte zu wechseln, und zwar auf Anbietende, die günstigere Preise haben, sodass diese Preise von der IV übernommen werden.»
Bei der IV-Revision 2019 wollten wir genau das verhindern.
Für Melanie Hauss, die Mutter von Sian, ist klar: Die Familien dürfen nicht die Leidtragenden sein. «Meine Hoffnung ist, dass die verschiedenen Stellen wie Politiker, IV und die Krankenkassen eine Lösung unter sich für die Finanzierung der Geräte finden und dass es nicht auf dem Rücken der bereits belasteten Familien ausgetragen wird.»
Das zuständige Bundesamt für Sozialversicherungen weist die Vorwürfe zurück.