Die SBB will die Anzahl der Ticketautomaten überprüfen und nicht mehr rentable Standorte abschaffen. Immer mehr Kunden würden ihre Billette online oder via App kaufen. Das wurde am Wochenende bekannt. Die Vereinigung Pro Bahn hat diese Pläne scharf kritisiert. Man dürfe keine Kundengruppe ausschliessen. Für den Soziologen Günter Voss ist dieses Vorgehen ein weiterer Schritt zum «mitarbeitenden Kunden».
SRF News: Zuerst wurden viele Schalter geschlossen. Jetzt sollen die Automaten abgebaut werden. Überrascht Sie diese Entwicklung?
Günter Voss: Im Prinzip nein. In allen Branchen, welche Dienstleistungen anbieten, wird immer mehr Arbeit den Kunden überlassen, für die früher Mitarbeiter angestellt wurden. Das ist meine These: Die Unternehmen lagern immer mehr Arbeiten an ihre Kunden aus. Die Digitalisierung fördert diesen Trend zusätzlich.
Doch ist das nicht einfach die Folge der technischen Entwicklung?
Die technische Entwicklung läuft nicht einfach so ab. Es sind die Anbieter, in diesem Fall die SBB, die sie vorantreibt. Die Kunden werden auch gezwungen, sich anzupassen und die neuen Möglichkeiten via Internet zu nutzen. Man hat keine Alternativen. Kaum hat man sich an die Automaten gewöhnt, sollen diese möglichst wieder verschwinden.
Was sind die Nachteile dieser Verlagerung für die Kunden ?
Spätestens seit dem Zeitalter der Selbstbedienungen müssen sich die Kunden beteiligen. Jetzt erleben wir durch die Digitalisierung aber eine immense Forcierung dieser Entwicklung. Es wird uns immer mehr zugemutet. Wir, die normalen Bürger, müssen die Arbeit machen, und zwar unentgeltlich. Und zum Teil handelt es sich um komplexe Arbeiten. Immer mehr dieser ausgelagerten Schritte greifen in unsere private Lebenswelt ein. Wir erledigen solche Arbeit rund um die Uhr.
Ein technisches und rechtliches Risiko wird auf den Kunden abgeschoben.
Die Digitalisierung macht doch auch vieles einfacher.
Nicht immer sind solche Neuerungen kundenfreundlich. Wir haben in Untersuchungen festgestellt, dass beispielsweise viele Kunden mit den Ticketautomaten nicht klarkommen. Und die nächste Form sind die Automaten in der Hand. Die sind nicht einfach zu bedienen. Ausserdem brauche ich alle zwei bis drei Jahre ein neues Gerät, um Schritt zu halten.
Sind für die Kunden auch Risiken verbunden?
Nebst der Zeit, die verloren geht, wird ein technisches und rechtliches Risiko auf den Kunden abgeschoben. Was passiert, wenn im Zug mein Akku aussteigt? Was passiert, wenn im Flughafen plötzlich mein Handy nicht funktioniert? Man muss klar sehen, warum diese Entwicklung vorangetrieben wird. Es geht immer darum, auch Kosten und Personal zu sparen.
Das Gespräch führte Pasquale Ferrara.