Viele Städte sehen 30er-Zonen als praktisches Mittel, um den Strassenlärm zu reduzieren. Autofahrer ärgern sich allerdings oft über Tempo 30: Unter dem Vorwand des Lärmschutzes würden Autofahrer schikaniert.
Letztes Wochenende lief die 30-jährige Frist ab: So lange hatten Kantone und Gemeinden Zeit, um Strassen gemäss den Lärmschutzgesetzen zu sanieren. Ist seither genug getan worden? «In der Politik denkt man manchmal auch ans Geld», sagt SVP-Nationalrat Ulrich Giezendanner. Für den Lärmschutz an Bahnstrecken seien 2,2 Milliarden ausgebeben worden. Viele Kantone hätten an Autostrassen Lärmschutzfenster einbauen lassen. Und: Auch der Verkehr sei sehr viel leiser geworden, zum Beispiel durch Technik.
«Eine Herkules-Aufgabe»
«Die Politik hat versagt in den letzten 30 Jahren», kontert Bastien Girod von den Grünen. Heute sei immer noch jeder Fünfte von Lärm betroffen. «Das heisst, dass die Politik zu wenig getan hat.»
Beispiel Zürich: Rund 140'000 Personen leben dort über den Lärmgrenzwerten. «Das ist keine zufriedenstellende Situation», sagt die Zürcher FDP-Regierungsrätin Carmen Walker-Späh. Man habe der damaligen Regierung aber auch eine Herkules-Aufgabe auferlegt. In Zürich seien dies 800 Kilometer Strasse, welche lärmsaniert hätten werden sollen. «2017 sind 75 Prozent davon lärmsaniert», sagt Walker-Späh mit Blick auf Girod, «darum finde ich es vermessen, zu sagen, die Behörden hätten nichts getan».
Jürg Grossen setzte sich in seinem Heimatort Frutigen für Tempo 30 ein – stiess aber auf Widerstand. Diesen gibt es auch schweizweit. Ist Tempo 30 überhaupt mehrheitsfähig? In Frutigen schon, bestätigt der GLP-Präsident. Die Exekutive habe sich dafür entschieden. Auch zu Gunsten des Gewerbes, wie Grossen erklärt. Denn «würde man mit Tempo 50 planen, müsste ein Drittel der Parkplätze aufgehoben werden». Ein grosser Nachteil für das örtliche Gewerbe, sagt Gross. Mit Tempo 30 wären mehr Parkplätze für das Gewerbe möglich.
Giezendanner interveniert: «Sie haben einen sehr schlechten Verkehrsplaner, wenn sie Tempo 50 mit Parkplätzen verbinden». Und: «Ich rufe die Bevölkerung von Frutigen zum Widerstand auf.» Rothrist habe dies getan und sich gegen Tempo 30 durchgesetzt. Auch in Safenwil oder Murgenthal hätten sich die Leute durchgesetzt.
«In Frutigen geht es um 17 Sekunden eingesparte Zeit», sagt Grossen. Und um die Sicherheit. An der Hauptstrasse sei das Schulhaus und Kinder überquerten die Strasse täglich. Giezendanner schüttelt den Kopf: «Die Kinder überqueren seit 70 Jahren diese Strasse.» Ja, aber in dieser Zeit habe auch das Verkehrsaufkommen sehr zugenommen, kontert Grossen.
Was meint der Experte?
Die These stimmt: «Weniger Tempo gleich weniger Lärm», bestätigt Mobillitätsforscher Thomas Sauter. Gleichzeitig relativiert er: «Tempo 30 ist leiser, aber nicht sehr viel leiser.» Tempo 30 sei aber nicht nur eine Lärmfrage, sondern auch eine Sicherheits- und eine Umweltfrage. Der Bremsweg halbiere sich quasi mit Tempo 30 statt 50.
Offenbar bringe es also doch etwas, zitiert Moderator Grossniklaus den Experten. «Die Fakten sind klar», sagt auch Bastien Girod. Auch Lärm werde damit quasi halbiert. Die Gründe gemäss Girod: Weniger Beschleunigung und weniger Lärm durch Reibung auf der Strasse. Auf einem halben Kilometer sei der Zeitgewinn mit Tempo 50 einige Sekunden. «Will man dafür den Leuten den Schlaf nicht gönnen?», fragt der Grüne. Giezendanner winkt ungläubig, aber wortlos ab.
Unterscheiden zwischen Quartieren und Hauptachsen
«Mich stört die Pauschalisierung in der Thematik», meldet sich Walker-Späh zu Wort. Der Verkehr funktioniere wie ein Adernsystem, da gebe es Hauptadern, Nebenadern usw., aber alle müssten funktionieren. «In Quartieren und und in der Nähe von Schulen haben wir überhaupt kein Problem mit Tempo 30.» Aber bei Hauptverkehrsstrassen müsse der Verkehr fliessen, dort wo die Wirtschaft auch darauf angewiesen sei. Tempo 30 bringe dort nichts, Der Verkehr verlagere sich einfach in die Quartiere.
500 hypothetische Tote
Lärm kann sich auch auf die Gesundheit auswirken. Dies besagt eine Studie, welche unter anderem vom Bund in Auftrag gegeben wurde.
Jedes Jahr sterben gemäss dieser Studie rund 500 Menschen an den Folgen der Lärmbelästigung. «Wenn die Studie vom Bund in Auftrag gegeben wurde, dann glaube ich sie sowieso nicht», sagt Giezendanner. Die 500 Toten seien hypothetisch. «Es ist interessant, wie sie jede Aussage, die besagt, dass Lärm krank macht, nicht hören wollen», erwidert Girod dem SVP-Nationalrat. Es gebe halt Menschen, die reagierten sensibler auf Lärm. Hier müsse die Politik helfen, und Tempo 30 sei genau so ein Kompromiss, welche Mobilität gewährleistet und gleichzeitig die Belastung massiv senke.