Bis zu 6000 Asylgesuche kann die Schweiz laut den Behörden pro Monat bewältigen. Aber bereits diesen Sommer könnte das Land aufgrund der veränderten Migrationsrouten mit wesentlich höheren Zahlen konfrontiert werden. Basis für den Asyl-Notfallplan, den Bund und Kantone erarbeitet haben, bildet ein mögliches Extremszenario mit bis zu 30'000 irregulären Grenzübertritten innert weniger Tage.
Hans-Jürg Käser, Präsident der Konferenz kantonaler Justiz- und Polizeidirektoren geht davon aus, dass 2016 insgesamt 40'000 Flüchtlinge anklopfen werden, wie er zu Beginn der Diskussion erklärte.
Von Schutzbedürftigen...
Doch ob es schliesslich 6000, 30'000 oder 40'000 sind: Muss sich die Schweiz nun darauf vorbereiten, diese Flüchtlinge aufzunehmen oder sie abzuweisen, fragte Moderator Jonas Projer seine Gäste in der «Arena». Auf Zahlenspielereien wollte sich Nationalrätin Mattea Meyer (SP/ZH) gar nicht erst einlassen. Die Rede sei hier von Menschen auf der Flucht. «Sie sind keine Bedrohung von aussen, gegen die wir uns wehren müssen», ermahnte sie.
Der reformierte Pfarrer Andreas Nufer sprach sich ebenfalls dafür aus, die Flüchtlinge willkommen zu heissen. Es sei nicht das erste und werde nicht das letzte Mal sein, dass Schutzsuchende in die Schweiz kämen. «Wir haben in der Vergangenheit schon zigfach bewiesen, wie gut wir das bewältigen können.»
... oder «Invasoren»?
Quasi ins gegenteilige Horn blies Nationalrat Andreas Glarner (SVP/AG), der eine «Invasion auf Europa» fürchtet. Die Schweiz müsse nur noch diejenigen aufnehmen, die tatsächlich an Leib und Leben bedroht seien und stattdessen Hilfe vor Ort leisten. Nationalrätin Doris Fiala (FDP/ZH) wollte von einer solchen «Angstmacherei» nichts wissen, in der Schweiz lande nur ein Bruchteil der weltweit Flüchtigen. «Wir müssen weiterhin humanitäre Hilfe leisten, aber eine allzu romantische Vorstellung ist auch nicht förderlich.»
Wie sich die Situation in den kommenden Monaten – gerade auch durch die Schliessung der Balkanroute und die Abschottung mehrerer europäischer Länder – für die Schweiz entwickelt, ist kaum absehbar. Der Nofallplan sei jedenfalls unerlässlich, gab Hans-Jürg Käser zu bedenken. «Gouverner c'est prévoir. Wir müssen uns auf das Denkbare vorbereiten.» Emotional wurde die Debatte bei der Frage, welche Rolle der Armee zufällt, wenn «das Denkbare» geschieht und plötzlich Zehntausende an der Schweizer Grenze stehen. Seiner Meinung nach sei das Militär dazu da, das Grenzwachtkorps zu unterstützen, so Käser dazu.
Die Grenzzaun-Frage
Jonas Projer richtete den Blick der «Arena»-Gäste schliesslich nach Idomeni an der griechisch-mazedonischen Grenze, wo Tausende Menschen unter miserabelsten Bedingungen ausharren und zum Teil immer wieder versuchen, den Grenzzaun zu durchbrechen. «Solche Bilder sind extrem beschämend für ein Europa, das noch nie so reich war wie jetzt», gab Pfarrer Nufer zu bedenken. Zum Glück agiere die Schweiz bislang anders und halte an ihrer humanitären Tradition fest.
Es gehe aber nicht an, Griechenland vorschnell zu verurteilen, sagte Doris Fiala. Schliesslich gebe es griechische Inseln mit 150 Einwohnern, die plötzlich mit 22'000 Flüchtlingen klarkommen müssten. «So etwas könnte die Schweiz auch nicht stemmen.» Für Mattea Meyer ist klar, dass geschlossene Grenzen keine Antwort sind auf Millionen von Flüchtenden. «Wir brauchen eine gesamteuropäische Lösung, eine Weiterentwicklung des Dublin-Abkommens.» Doch genau davor graut es Andreas Glarner: «Wenn wir so weitermachen, haben wir in wenigen Jahrzehnten ein komplett anderes Europa – eines, das eher Eurabia heisst.»
Der vieldiskutierte Gesinnungswandel
Ob es je so weit kommt, sei dahingestellt. Einen konkreten Plan wird die Schweiz allerdings brauchen, wenn es um die Unterbringung Tausender oder gar Zehntausender Flüchtlinge geht. Er finde, die meisten Zivilschutzanlagen seien zumutbar, sagte Hans-Jürg Käser. Einen anderen Weg beschreitet bereits Andreas Nufer. Schon mehrfach habe er im Pfarrhaus Schutzsuchende aufgenommen. Auch stelle er einen erfreulichen Gesinnungswandel fest, so der Pfarrer zum Schluss versöhnlich. «Ganz viele Leute wollen den Flüchtlingen helfen.»
Jonas Projers «letzte Frage» trug ebenfalls das Ihrige dazu bei, die Runde harmonisch abzuschliessen. Sehen Sie hier.