«Als ich ins Boot gestiegen bin, dachte ich mir: Zu 90 Prozent werde ich diese Reise nicht überleben.» Bei Wiam Mohamad kamen die Emotionen hoch, als sie am Freitag in der «Arena» von ihrer Fahrt übers Mittelmeer berichtete. Sie war Ende 2015 gemeinsam mit ihrem Mann, ihrem Bruder sowie ihrem erst eineinhalbjährigen Sohn aus Syrien in die Schweiz geflüchtet.
Ihre Mutter hatte versucht, sie von der Überfahrt abzuhalten. «Sie hat mich angefleht und gesagt: bitte nicht übers Mittelmeer. Doch ich wusste: Wenn ich in Syrien bleibe, sterbe ich sowieso.»
Die in der «Arena» anwesenden Politikerinnen und Politiker waren von ihrem Bericht beeindruckt. Die Tonalität des folgenden politischen Schlagabtauschs aber hätte im Vergleich zu Mohamads Erzählungen unterschiedlicher nicht sein können.
SVP-Vizepräsident Marcel Dettling etwa griff SP-Co-Präsidentin Mattea Meyer von Beginn weg frontal an: «Mit Ihrer Politik stärken Sie die Schlepperbanden. Sie sind verantwortlich dafür, dass Menschen im Mittelmeer sterben!» Ausserdem unternähme die für das Asyldossier zuständige SP-Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider nichts, um die Asylgesuche zu reduzieren.
«Menschen ertrinken im Mittelmeer, weil sich Europa immer mehr abschottet», erwiderte Mattea Meyer. Niemand würde freiwillig flüchten – die Menschen seien in ihrer Heimat bedroht. Baume-Schneider habe vorausgeplant und deshalb zusätzliche Container für die Unterbringung von Asylsuchenden aufstellen wollen. SVP und FDP aber hätten das verhindert. Meyer: «Sie machen Politik auf dem Buckel der Geflüchteten.»
Man muss der Bevölkerung reinen Wein einschenken: es kommen immer mehr Wirtschaftsflüchtlinge in die Schweiz.
FDP-Nationalrat Hans-Peter Portmann liess das so nicht gelten. «Man muss der Bevölkerung reinen Wein einschenken: Es kommen immer mehr Wirtschaftsflüchtlinge in die Schweiz.» Bei der Rückführung von abgelehnten Asylbewerbern müsse die Schweiz konsequenter sein. So müsse man prüfen, ob man abgewiesene Asylsuchende aus Eritrea in ein sicheres Drittland wie etwa Ruanda zurückführen könne. Die Container hingegen seien nicht zielführend, da es an Personal fehle.
Aus einer politischen Motivation im Wahljahr heraus schwächt die FDP gemeinsam mit der SVP unser Asylsystem
«Aus einer politischen Motivation im Wahljahr heraus schwächt die FDP gemeinsam mit der SVP unser Asylsystem», kritisierte GLP-Fraktionschefin Tiana Angelina Moser. Es brauche mehr Unterkünfte, um weiterhin beschleunigte Asylverfahren durchführen zu können – letztere seien der «Goldstandard» im Asylwesen. Die Abschiebung von Asylsuchenden nach Ruanda hingegen sei eines Rechtsstaates unwürdig.
SP und GLP forderten ausserdem, dass die Schweiz auch 2024 und 2025 Flüchtlinge im Rahmen des Resettlement-Programms der UNO aufnimmt. Sowohl die Mehrheit des Ständerats als auch SVP und FDP hatten sich kürzlich dagegen ausgesprochen.
Laut Portmann ist das letzte Wort jedoch noch nicht gesprochen: «Die FDP-Fraktion hat noch nicht darüber diskutiert. Wir werden uns für eine gute Lösung einsetzen.» Aber auch für SP-Co-Präsidentin Meyer ist klar: Ganz verhindern lassen würden sich Katastrophen wie jene vor zwei Wochen, als Hunderte Menschen auf der Flucht im Mittelmeer ertranken, auch mit dem Resettlement-Programm nicht.
Wir flüchten nicht freiwillig – wir wollen einfach nur in Sicherheit leben.
Wiam Mohamad hörte gebannt zu. Sie arbeitet heute als Klassenassistenz und träumt davon, eines Tages Lehrerin zu werden – wie sie es schon in Syrien war. Menschen auf der Flucht rät sie davon ab, die Route über das Mittelmeer zu wählen. Oft hätten sie aber keine Wahl: «Wir flüchten nicht freiwillig – wir wollen einfach nur in Sicherheit leben.»