«Hunderte Patienten holten ihre Akten aus meiner ehemaligen Praxis», erzählt Hausarzt Bernhard Wälti aus Freidorf TG. Vor über zwei Jahren hat der pensionierte Hausarzt seine florierende Praxis verkauft. «Ein grosser Fehler», sagt er heute.
Der Verkauf meiner Praxis an Thomas Haehner war ein grosser Fehler.
Seit der Übernahme durch den Arzt und Geschäftsmann Thomas Haehner sei es mit der Praxis bachab gegangen. Jetzt ist sie zu. Laut der Thurgauer Gesundheitsbehörde bleibt das so, bis die Praxis angeordnete Massnahmen erfülle.
Die Recherche von SRF Investigativ zeigt: Freidorf ist kein Einzelfall. Thomas Haehner scheint ein System aufgebaut zu haben, das Praxen in Chaos und finanzielle Probleme stürzt. Zum Leidwesen vieler Angestellter und Patienten.
«Ich komme nicht an meine Krankenakte»
In Neuenkirch LU steht eine junge Frau vor geschlossener Türe. Sie ist schwer krank. Seit Wochen versuche sie, im Ärztezentrum ihre Krankenakte abzuholen: «Ich brauche dringend meine MRI-Bilder für die Weiterbehandlung bei meinem neuen Arzt.» Auch diese Praxis gehört zur Arztkette, die von Thomas Haehner betrieben wird.
Seit fünf Jahren kauft er Praxen auf. Meist übernimmt sie der Deutsche von Hausärzten im Pensionsalter, oft in ländlichen Gegenden. Haehner betreibt im Moment 18 Praxen in acht Kantonen – und dies über mehrere Firmen.
Über ein Dutzend Praxisassistentinnen und Ärzte, die bei Thomas Haehner angestellt sind oder waren, kritisieren gegenüber SRF Investigativ seine Methoden: «Wir wurden angewiesen, die Patienten als potenzielles Geschäft zu sehen», erzählt eine ehemalige Angestellte, die anonym bleiben will. Eine andere ehemalige Angestellte erzählt: «Die Patienten verliessen die Praxis mit sackweise Medikamenten.»
Er sieht nicht kranke Menschen, sondern Geld.
In der Anfangszeit der Pandemie habe Thomas Haehner seine Angestellten mit einer «Telefonanleitung» angewiesen, Patienten anzurufen und ihnen zur Corona-Vorsorge Zink und Vitamine zu verkaufen. «Er sieht nicht kranke Menschen, sondern Geld», beschreibt eine ehemalige Angestellte das Geschäftsmodell des Arztes.
Krankenkassen schreiten ein
Sogenanntes Überarzten ist verboten: Ein Arzt hat laut Krankenversicherungsgesetz «wirtschaftlich, wirksam und zweckmässig» zu handeln. Aufgrund der Recherche von SRF Investigativ analysierte die Krankenkasse Helsana die Abrechnungsweise der Praxen, die Thomas Haehner betreibt.
«Der Arzt gibt sehr viele Medikamente ab», sagt Ivan Tomka, der für Helsana Fälle von Überarztung aufdeckt. Die Krankenkasse leitet nun eine Untersuchung gegen Thomas Haehner und seine Praxen ein, da der Verdacht bestehe, dass unnötige Leistungen abgerechnet wurden. Zum Vorwurf der Überarztung schreibt Thomas Haehner: «Das sind äusserst bösartige Verleumdungen.»
Konkursandrohung wegen ausstehender Versicherungsprämien
Mehrere ehemalige Angestellte berichten auch von ausstehenden Lohnzahlungen. Der Auszug aus dem Betreibungsregister einer seiner Firmen war vergangenen Monat 12 Seiten lang: Thomas Haehner wird demnach immer wieder für AHV- und PK-Beiträge, Steuern oder Löhne betrieben. Er bezahlt laut Betroffenen oft erst auf den letzten Drücker.
Unter anderem ist Haehners Firma von der Visana wegen offener Krankentaggeldprämien über 76'000 Franken auf Konkurs betrieben worden. Die nicht bezahlten Prämien wirken sich auch auf die Angestellten aus: Erkrankte Mitarbeitende hätten kein Krankentaggeld erhalten, erzählen Betroffene.
Thomas Haehner schreibt: Dass Löhne zu spät bezahlt worden seien, treffe teilweise zu. Zum Chaos in manchen Praxen schreibt er: «Dies deckt sich mehrheitlich nicht mit der Realität.»
«Gefährdung von Patientinnen»
«Ein Arzt muss vertrauenswürdig sein und immer das Wohl der Patienten und Patientinnen in den Mittelpunkt stellen», sagt Sozialversicherungsexperte Ueli Kieser. Das sei hier nicht der Fall.
Nach Sichtung aller Unterlagen kommt der Rechtsprofessor der Universität Bern zum Schluss: «Hier liegt möglicherweise eine Gefährdung der Patienten und Patientinnen vor.»
Was machen die Behörden?
Sechs Praxis-Standorte liegen im Kanton Zürich. Die Zeitung «Tages-Anzeiger» berichtete schon 2021 über Beschwerden von Patientinnen und Patienten. Damals schrieb das Amt für Gesundheit zu den Reklamationen: «Zurzeit sind wir in Abklärung. Weitere Auskünfte können wir nicht geben». Zwei Jahre begleitet das Amt Haehners Firmen bei der Umsetzung von «Verbesserungsmassnahmen».
Von den Luzerner Gesundheitsbehörden liegt SRF Investigativ ein Schreiben vor, das klar macht: Den Luzerner Ärztezentren Napf und Triengen sowie der Surenweidpraxis in Oberkirch fehlten bis vor kurzem die Betriebsbewilligungen. Thomas Haehner habe diese nun nachgereicht, schreibt die Behörde.
Die Luzerner Gesundheitsbehörde ist gemäss Recherchen seit Jahren über das Chaos in den Haehner-Praxen informiert. «Wir haben den Kantonsarzt mehrfach über die chaotischen Zustände informiert», sagt etwa der Hergiswiler Gemeinderat Pius Hodel: «Wir stellten danach keine Verbesserung fest.» Auf Anfrage schreibt das Luzerner Gesundheitsdepartement, es gehe Missständen nach: «Über allfällige konkrete aufsichtsrechtliche Verfahren erteilen wir grundsätzlich keine Auskunft.»
Auf Anfrage schreibt das Luzerner Gesundheitsdepartement, es gehe Missständen nach: «Über allfällige konkrete aufsichtsrechtliche Verfahren erteilen wir grundsätzlich keine Auskunft.»
Was sagt Thomas Haehner?
SRF Investigativ stand mehrmals mit Thomas Haehner in Kontakt. Er nahm teilweise schriftlich Stellung. Er sei selbst Opfer von schweren Straftaten geworden. Die Vorwürfe zeigten nicht das ganze Bild. Ausserdem, schreibt er, sei der unzufriedene Arzt aus dem Thurgau ein Einzelfall.