In der Deutschstunde für Geflüchtete in Winterthur verknüpft Lehrer Markus Egli den Sprachunterricht mit Staatskunde. Die 14 Schülerinnen und Schüler aus sechs Nationen geben ihr Bestes. Sie kennen die Schweiz schon recht gut, denn sie leben bereits zwischen zwei und fünf Jahren hier.
Einige stecken noch mitten im Asylverfahren, andere wurden vorläufig aufgenommen. Mehrere aber erhielten einen negativen Asylbescheid und müssten eigentlich in ihr Herkunftsland zurückkehren, auch der 24-jährige Salih aus Afghanistan.
Obwohl er in der Schweiz seit langem nur noch Nothilfe erhält und in prekären Verhältnissen lebt, wehrt er sich mit aller Kraft gegen die Rückschaffung: «Ich mache alles, aber nach Afghanistan gehe ich nicht zurück. Das geht nicht.»
Von den Taliban bedroht
Die radikalislamistischen Taliban, vor denen er 2016 geflohen ist, würden ihn umbringen, befürchtet Salih. «Wenn ein Afghane nach Europa geht, müssen die Taliban ihn töten. Für sie ist diese Person nichts mehr.»
Dass Rückkehrer im sowieso schon gefährlichen Afghanistan besonders gefährdet sind, belegt eine Studie der Sozialwissenschaftlerin Friedericke Stahlmann, die an der Universität Bern lehrt.
Die Schweizerische Flüchtlingshilfe fordert denn auch einen sofortigen Ausschaffungsstopp nach Afghanistan. Für den ehrenamtlichen Deutschlehrer Markus Egli wäre dies eine Selbstverständlichkeit: «Eine Rückschaffung nach Afghanistan ist unmenschlich und der Schweiz unwürdig. In Afghanistan finden sie den Anschluss nicht wieder. Sie werden von Gewalt bedroht und fliehen wieder.»
In Ausnahmefällen sei die Rückschaffung möglich
Die Schweizer Asylbehörden sehen das anders. In gut begründeten Ausnahmefällen sei die erzwungene Rückschaffung nach Afghanistan möglich, hält Lukas Rieder fest, Sprecher im Staatssekretariat für Migration.
Die Ausnahmenfälle seien «junge, gesunde Männer, die ein intaktes Beziehungsnetz haben und die auf die Unterstützung ihrer Familie zählen können. Und das gilt nur für die drei grossen Städte Afghanistans, die unter der Kontrolle der Regierung stehen.»
Letztes Jahr schaffte die Schweiz fünf abgewiesene Asylsuchende nach Afghanistan aus, fünf von 171 mit rechtsgültigem Wegweisungsentscheid. Das sind wenige, aber die Praxis verunsichert alle und sie traumatisiert die Direktbetroffenen.
Gescheiterte Ausschaffung
Salih wurde letzten September von Polizisten in der Notunterkunft, in der er ein Zimmer mit 15 andern abgewiesenen Asylsuchenden teilte, verhaftet. Nach sechs Wochen im Gefängnis versuchte man ihn auszuschaffen: «Sie haben meine Hände und meine Füsse zusammengebunden und wollten mich so ins Flugzeug bringen. Ich konnte nur ganz laut schreien. Da haben sie mich ins Gefängnis zurückgebracht.»
Eineinhalb Monate blieb Salih im Ausschaffungsgefängnis. Dann liessen ihn die Behörden ohne Begründung frei. Es ist allerdings eine gefährdete Freiheit. Bereits hat Salih eine Vorladung des Migrationsamtes Zürich erhalten, zwecks «Organisation der Rückreise».
Ohne Bewilligung keine Chance
Wer einen Wegweisungsentscheid bekommen hat, darf nicht arbeiten, wie der in der Schweiz bestens integrierte Salih: «Ich würde gerne als Krankenpfleger arbeiten und tue alles dafür. Aber ohne Bewilligung kann ich nichts machen.»
Salih besucht den unentgeltlichen Sprachkurs, den das Solinetz anbietet und hofft auf ein Wunder.
SRF 4 News, Rendez-vous vom 04.02.2020