Das 700-Seelen-Dorf Les Verrières liegt idyllisch an der Grenze zu Frankreich. Früher war es ein wichtiger Durchgangsort vom französischen Pontarlier in die Schweiz. Heute müssen hier auch renitente Asylbewerber für ein paar Wochen Halt machen – als Strafe, wenn sie in einem anderen Zentrum negativ aufgefallen sind.
Zwischen zehn und 20 Männer sind in einem ehemaligen Sportzentrum ausserhalb des Dorfes untergebracht. Das habe im Dorf zu Problemen geführt, sagt Pierre-Alain Jornod, der gerade mit einem Hochdruckreiniger den Eingang seines Hauses putzt.
Diebstähle und Zechprellerei
Jornod spricht aus eigener Erfahrung: «Ich kam aus der Werkstatt, da sitzt plötzlich einer in meinem Auto.» Der Mann habe gesagt, dass ihm kalt gewesen sei. «So etwas mache man nicht, habe ich ihm gesagt. Erst danach habe ich gesehen, dass er in meinen Sachen gewühlt hat.» Solche Vorfälle veränderten das Dorf, sagt er. Anders als früher würden die Leute heute ihre Haustüre stets abschliessen.
Ich habe gesehen, dass er in meinen Sachen gewühlt hat.
Ebenfalls Ärger gab es bei Delphine Gritti, die eine Tankstelle mit einer kleinen Bar betreibt. Bei ihr wurde schon versucht, Zigaretten zu stehlen. Und einer habe an der Bar konsumiert und sei dann einfach davongerannt. Sie habe Anzeige eingereicht – zur Abschreckung, wie auch ein anderer Wirt im Dorf, der angepöbelt wurde.
Doch nicht alle Bewohnerinnen und Bewohner des Dorfes sehen das Asylzentrum für Renitente als Problem. Einige sprechen auch von einer Polemik, die sich hochgeschaukelt habe. Sie wollen sich aber nicht zitieren lassen – auch wegen des Friedens im Dorf.
Machtlose Gemeindebehörden
Im Gemeindebüro arbeitet Mike Simon-Vermot, der Gemeindepräsident von Les Verrières. Er sieht durch das Zentrum den Dorffrieden gefährdet. «Es ist schwierig für das Ansehen der Gemeinde», sagt der 38-jährige Gemeindepräsident. Und schon heute habe Les Verrières mit einer Abwanderung zu kämpfen. Machen kann die Gemeinde aber wenig.
SEM-Mediensprecher Lukas Rieder gibt zu, dass «sich eine kleine Minderheit der Personen, die in Les Verrières untergebracht sind», zuweilen inakzeptabel verhalte. Dadurch könne durchaus auch das soziale Leben im Dorf gestört werden.
Die Unruhe, die im Oktober 2021 entstanden ist, hat sich inzwischen wieder gelegt.
Falls nötig, werde die Polizei eingeschaltet. Allerdings beruhige sich die Situation meist rasch wieder, so Rieder. «Die Unruhe, die im Oktober 2021 entstanden ist, hat sich inzwischen wieder gelegt.»
Vorerst kein zweites «Besonderes Bundesaylzentrum»
Die Anzahl der Securitas-Leute und der Betreuer wurde erhöht, ausserdem besucht jetzt regelmässig ein muslimischer Seelsorger die Asylbewerber im Zentrum. Doch in Les Verrières ist man nach wie vor unzufrieden.
Inzwischen ist auch die Neuenburger Regierung aktiv geworden und hat das SEM Anfang Mai an sein Versprechen erinnert, dass das Zentrum in Les Verrières nicht das einzige «Besondere Bundesasylzentrum» in der Schweiz blieben soll.
Die Suche nach dem zweiten Standort hat sich gemäss dem SEM aber verzögert. Und so muss sich das Neuenburger Dorf an der Grenze zu Frankreich bis auf Weiteres mit dem «Besonderen Bundesasylzentrum» in der Gemeinde abfinden.